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Eine Familienidylle im Schnee – wirklich? Michèle Minelli cuttet sich und ihrer Hauptfigur in "Wie es endet“ eine ganz eigene Realität zusammen. Spätestens mit der verzweifelten Suche nach dem weißen Familienkater in der winterlichen Dunkelheit fängt sie an.

Ein Familienurlaub in den Bergen: Vater, Mutter, Kind. Schlittenfahren, toben und chillen im und um das luxuriöse Chalet herum. Sie lassen es sich gut gehen. Ein normaler Urlaub. Ab und zu muss Thierry ein bisschen am Notebook arbeiten. Er ist Film-Cutter. Seine Frau ist Schauspielerin. Sie haben sich am Set kennengelernt. Ihre gemeinsame Tochter ist noch sehr klein: In diesem Rahmen bewegt sich Michèle Minellis Roman "Wie es endet“. Aber etwas wird diesen Rahmen sprengen. Es ist kein normaler Urlaub zu dritt – oder besser gesagt zu viert. Cut.

In dieser einen fürchterlichen Nacht stapft und strauchelt der schreiende Thierry durchs Gebüsch. Der Wind tobt und pfeift – und beißt sich durch, bis auf die Haut. Der Schnee fällt jetzt noch dichter als am Tage: "Haben sie noch andere Stimmen gehört?“

Im Dialog mit den Bäumen

Verzweifelt irrt Thierry um das Chalet herum. Seine Nase läuft. Er heult. Er fragt sogar die Bäume, ob sie Pizza gesehen haben: Pizza, ist Thierrys Kater. Der Familienkater. In den Fenstern der anderen Chalets geht das Licht an. Gardinen bewegen sich. Dunkle Köpfe erscheinen im Lichtschein. Viel werden sie nicht sehen. Nur einen Mann im Schnee, der in Shorts und Pullover, mit tränenerstickter Stimme "Pizza“ ruft.

An der Rezeption der Hotelanlage begegnet Thierry Unverständnis. Nicht nur in den Gesichtern der beiden Angestellten, auch in ihrer Art, wie sie mit ihm sprechen. Als wäre er nicht bei Trost. Jedes Wort wird wiederholt. Thierry sagt, er habe seinen Kater verloren: Kater? Er sagt, seine Frau würde mit seiner Tochter im Chalet warten: Ihre Frau? Mit ihrer Tochter?

Pizza ist ein Kater

Während draußen der Wind am Gebäude rüttelt, versucht Thierry drinnen, ruhig zu bleiben. Plötzlich sieht Thierry aus dem Augenwinkel etwas Weißes vorbeihuschen, draußen, vor den tiefen Fenstern der Hotel-Lobby. Der Kater ist weiß, schneeweiß. Thierry stürmt los, durch die Drehtür, wieder hinaus in den Sturm. Und da hockt er. Unter einer kleinen Tanne. Ganz nass und durchgefroren ist er, als Thierry ihn ins Chalet trägt.

Zurück im Warmen rubbelt er den Kater trocken, horcht auf das Schnurren, und auf die Stille. Frau und Tochter werden schon schlafen. Aber Thierry will da jetzt nicht raufgehen. Er will jetzt keine Tür öffnen. Es soll still bleiben.

Spätestens jetzt, angekommen bei der verzweifelten Suche nach einem weißen Kater im Schnee, lässt es sich nicht mehr ignorieren. Etwas an Thierrys Geschichte stimmt nicht. Etwas kippt. Aber es ist mehr so ein Gefühl, ausgelöst durch kleine Andeutungen in Beschreibungen und durch kurze, kursiv geschriebene Sätze mitten im Text.

In "Wie es endet“, dem Roman der Schweizer Schriftstellerin Michèle Minelli kippt es gewaltig. Erst nur ein bisschen. Dann ein bisschen mehr. Was ist da los?

Das Buch
"Wie es endet“ von Michèle Minelli, Lectorbooks, 118 Seiten, Hardcover: 20 Euro, Erscheinungstermin: 30.09.2024.

Die Autorin
Michèle Minelli, geboren 1968. Schriftstellerin und Filmschaffende. Koordinatorin der Franz-Edelmaier-Residenz für Literatur und Menschenrechte in Meran, Vorstandsmitglied Deutschschweizer Pen-Zentrums. Seit 2000 sechs Sachbücher und sieben Romane mit Übersetzungen ins Französische, Chinesische und Albanische. Michèle Minelli lebt und arbeitet auf dem Iselisberg im Kanton Thurgau in der Schweiz.

Shownotes
Das perfekte Buch für den Moment…
…wenn du weißt, dass etwas nicht stimmt
vom 02. Februar 2025
Autorin: 
Lydia Herms, Deutschlandfunk-Nova-Buchrezensentin