Am 24. Juli 2010 endete die Loveparade in einer Katastrophe. Jessika Westen war an dem Tag als Reporterin in Duisburg unterwegs und hat in den letzten Jahren mit Betroffenen und den Angehörigen der Verstorbenen gesprochen. Ihnen fehlt es weiterhin an Aufklärung, sagt sie.
Heute vor zehn Jahren bekam Journalistin und WDR-Reporterin Jessika Westen einen Anruf von einem Kollegen aus der Redaktion. Er fragte sie, ob sie etwas von Toten auf dem Gelände der Loveparade mitbekommen habe.
Jessika Westen stand zu dem Zeitpunkt vor dem Hauptbahnhof in Duisburg. Von dort sollte sie als Festivalreporterin live für das WDR-Fernsehen über die Loveparade berichten. In dem Moment, als der Anruf kam, hatte sie noch keine Ahnung von dem Unglück.
21 Tote, mehr als 650 Verletzte
Ihr Kollege in der WDR-Redaktion sprach erst von einem Gerücht, das noch offiziell von den Behörden bestätigt werden müsse. Nachdem sich ein Teil des Teams um Jessika Westen auf den Weg zum Festivalgelände machte, telefonierte die Reporterin mit dem damaligen Pressesprecher der Duisburger Polizei. Dann kam die Bestätigung: Es gibt Tote. 21 Menschen starben bei einer Massenpanik. Sie wurden in dem Tunnel, der auf das Festivalgelände führt, zerquetscht. Mehr als 650 weitere Menschen wurden verletzt.
"Als der damalige Pressesprecher der Duisburger Polizei meinen Anruf annahm, habe ich schon an seiner Stimme gehört – die angespannt klang – dass irgendwas nicht stimmt."
Was als leichtes Fernsehgespräch über ein Technofestival angedacht war, wird zur Liveberichterstattung eines Unglücks mit 21 Toten. "Mir war total flau im Magen. Ich fühlte mich fast schwindelig und hatte buchstäblich wie Watte in den Ohren. Nach dem ersten Schock habe ich relativ schnell auf Funktionieren umgeschaltet", erinnert sich Jessika Westen.
Am Duisburger Hauptbahnhof traf sie dann auf erste Augenzeugen. Sie waren von Kopf bis Fuß bedeckt mit grauem Staub, ihre Blicke teilweise leer, erinnert sich die WDR-Reporterin. "Sie schienen völlig verstört", erzählt sie.
"Die Festivalbesucher sahen aus, als ob sie in einem Krisengebiet gewesen wären. Sie hatten teilweise leere Blicke. Einige waren total wütend."
In den vergangen zehn Jahren hat Jessika Westen einige der Betroffenen und Angehörigen getroffen und auch den Prozess zum Unglück als Journalistin begleitet.
Basierend auf diesen Gesprächen und aus den Erkenntnissen der Aufarbeitung hat sie einen Roman geschrieben, der den Tag des Loveparade-Unglücks aus drei Perspektiven erzählt: die einer Journalistin, die eines Rettungssanitäters und die Perspektive einer Festivalbesucherin. Ihr Buch "Dance or Die" bezeichnet Jessika Westen als einen Doku-Roman. "Nichts, was die Figuren erleben, ist ausgedacht", erklärt sie.
Der Loveparade-Prozess endet ohne Urteil
Seitens des Gerichts ist der Prozess über das Unglück der Loveparade abgeschlossen. Ein Urteil gibt es allerdings nicht. Die einzelne Schuld der Angeklagten sei zu gering, erklärte der vorsitzende Richter Mario Plein in der Begründung des Urteils Anfang Mai 2020. Es sei eine Katastrophe ohne Bösewicht. "Wir haben ihn jedenfalls nicht gefunden", sagte der Richter.
184 Prozesstage – keine Schuldigen
Ein Prozessende ohne Urteil: Das ist für viele der Angehörige und Betroffene schwer zu verarbeiten, so die Journalistin. Denn auch die Prozesse und Abläufe, die im Hintergrund liefen und am Ende zu der Katastrophe beigetragen haben, bleiben weiterhin unklar.
Den Angehörige und Betroffenen gehe es um Aufklärung. "Sie hatten auch gehofft, dass sie durch das Urteil ein Stück weit besser mit dem Unglück abschließen können. Das ist ihnen jetzt verwehrt geblieben", sagt Jessika Westen.