Psychische Gesundheit ist ein großes Thema in den sozialen Medien – und das ist gut so, denn es trägt zur Enttabuisierung bei. Aber der Mental-Health-Trend ist auch ein Problem, findet die Soziologin Laura Wiesböck. Warum, erklärt sie in diesem Vortrag.
Dass wir mal traurig sind, aufgewühlt oder emotional erschöpft, all das ist auch normal und gehört zum Menschsein dazu: Das muss nicht immer krankhaft sein. Traurigkeit etwa kann eine absolut gesunde Reaktion auf ein Ereignis sein.
"Es zeigt sich eine Vermengung von klinischen Belastungslagen, menschlichen Leidenszuständen und auch Optimierungsanforderungen innerhalb des Begriffs 'Mental Health'."
Wer sich jedoch zu Fragen der psychischen Gesundheit auf Social Media informiert, kann schnell auf die Idee kommen, eine ernsthafte Krankheit oder Störung zu haben. Dort ist immer mehr die Rede von Diagnosen wie ADHS oder Depression sowie Begriffen wie Trauma oder Trigger. Zu viel, kritisiert Laura Wiesböck. "Fragen der Ausgeglichenheit werden immer stärker zu Fragen von Gesundheit und Krankheit", sagt die Soziologin.
Psychische Probleme: Ohne Tabus, ohne Pathologisierung
Dabei sieht sie auch die Vorteile: Dass Mental Health immer mehr ein Thema in den sozialen Medien ist, trage zur Enttabuisierung und Endstigmatisierung psychischer Probleme, Krankheiten und Störungen bei. Informationen zu Bewältigungsstrategien würden zugänglicher und die Hürde für Betroffene sinke, sich Hilfe zu suchen.
"Es stellt sich die Frage, inwieweit es zu einer Pathologisierung dessen kommt, was es bedeutet, Mensch zu sein."
Allerdings sei eben auch eine Pathologisierung zu beobachten: Immer mehr würden Zustände, die im Bereich normaler Aufs und Abs liegen, krankhaft gedeutet, mitunter verherrlicht. Über digitale Kanäle breite sich eine "psychotherapeutische Kultur" aus, so die Soziologin.
"Es wird eine Idee von Gesundheit bestärkt, wie sie neoliberal-ökonomisch dominierte Marktgesellschaften verlangen: nämlich leistungsfähig, belastbar und positiv gestimmt zu sein."
Das liegt auch an der aufmerksamkeitsökonomischen Struktur von Social Media: Die Logik der Plattform baut darauf auf, dass wir uns mit Inhalten identifizieren und idealerweise damit interagieren – mit Likes, Shares, Comments.

Die Algorithmen förderten daher eher einseitige und einfache Symptom-Beschreibungen, so Laura Wiesböck.
"Durch die Logik, die sozio-technische Architektur der Social-Media-Plattformen, werden sehr vereinfachte Symptom-Beschreibungen gefördert."
Symptomlisten finden sich zuhauf als Selbstdiagnose-Anleitungen auf Tiktok, Insta und Co. Sie bergen aber Risiken – vor allem für junge Menschen in schwierigen Phasen, warnt die Soziologin. Oft stammten solche Listen zudem von fachfremden Menschen.
"Die Popularisierung von psychischen Erkrankungen erweitert de facto Märkte."
Im Hinterkopf sollte man immer haben: Influencer und Content-Producer verdienen mit ihren Inhalten Geld. Das heißt: Medikamente und Therapien, aber auch scheinbar kostenlose Informationen zu Krankheiten wie Selbstdiagnose-Anleitungen sind damit eine Ware.
Mental Health wird zur Ware
Und auch die psychischen Krankheiten selbst werden zum Produkt gemacht – etwa indem im Sinne von "Own your stigma" für Ketten mit den Molekülen von Wirkstoffen zur ADHS-Behandlung geworben wird oder für T-Shirts, die bestimmte Krankheiten romantisieren.
"Die Zielgruppe der Vermarktung von psychischen Krankheiten als cool sind überwiegend Jugendliche und junge Erwachsene, denen diese Form von Branding und Konsum als emanzipatorischer Akt vermittelt wird."
Nicht zuletzt verdienen die Plattformen selbst auch Geld mit diesen Inhalten. Sie sind explizit so designt, erinnert Laura Wiesböck, dass ein suchtartiges Nutzungsverhalten entwickelt wird.
Insofern profitieren sie auch von der Suche nach Orientierung in Mental-Health-Fragen und bevorzugen eindeutige und einfache Inhalte gegenüber komplexen und ambivalenten.
In ihrem Vortrag analysiert Laura Wiesböck diese und weitere Ursachen und Folgen des Trends um Mental Health und leitet in ihrem Fazit daraus einen Appell ab, was sich ändern müsste.
Laura Wiesböck ist Soziologin und arbeitet in Wien. Zurzeit leitet sie dort die Junior Research Group "Digitalisierung und soziale Transformation" am Institut für Höhere Studien. Sie forscht zum Thema soziale Ungleichheit mit besonderem Schwerpunkt auf Arbeit, Armut, Geschlecht und Digitalisierung. Zum Thema psychische Gesundheit als Social Media Trend hat sie das Buch "Digitale Diagnosen" geschrieben, erschienen Anfang 2025.
Ihren Vortrag "Legitime Überforderung: Psychiatrische Diagnosen im Kontext digitaler 'Mental Health'-Diskurse" hielt sie am 21. März 2025 im Rahmen der Suttner-Vorlesungen an der Bertha von Suttner Privatuniversität.
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