Während viele von uns schlafen, begibt sich Dirk Liesemer auf Wanderung. Ein Jahr lang war er nachts in der Natur unterwegs. Der Sternenhimmel, der Mond und ein paar Waldtiere haben ihn dabei begleitet – die Angst so gut wie nie.
Uns Menschen ist die Nacht abhandengekommen, sagt Autor und Journalist Dirk Liesemer. Bis vor wenigen Jahren war die Nacht für ihn wie ein unbekannter Planet. Statt unterwegs zu sein, verbrachte er die dunklen Stunden des Tages – wie wahrscheinlich die meisten Menschen – zuhause.
Als Dirk Liesemer sich eines Nachts in einem Vorort von Leipzig verlaufen hatte und den Weg zu seinem Ziel nicht finden konnte, hat er sich an die Nachtwanderungen aus seiner Kindheit und Jugend erinnert. Als Kind konnte er die Geräusche um ihn herum deuten und Sternenbilder erkennen.
Dunkel und facettenreich
Als Erwachsener wollte er die Nacht neu kennenlernen. Also ist der Journalist und Autor ein Jahr regelmäßig durch die Nacht gewandert. "Ich habe entdeckt, dass die Nacht nicht nur dunkel ist, sondern ziemlich facettenreich", sagt er.
"Da draußen ist eine ganze Welt, die man entdecken kann und im Grunde immer dann stattfindet, wenn wir schlafen."
Auf seinen Touren war er mit einem Glühwürmchen-Experten in Zürich, mit einem Sagensammler im Erzgebirge und auch ganz allein unterwegs.
Im Wald ist Dirk Liesemer Füchsen, Hasen und auch Wildschweinen begegnet. Vor Letzteren hatte er, neben Zecken, am meisten Angst. Seitdem er bei einem Streifzug auf Rügen das tiefe, grollende Grunzen eines Wildschweins neben ihm gehört hatte, hilft ihm das Singen von alten Kinderliedern, um die Angst vor einer erneuten Wildschwein-Begegnung abzulegen.
Auf seinen Streifzügen hat ihn die Angst allerdings nicht allzu oft begleitet. "Die meisten Nächte waren einfach nur schön. Man sieht die Sterne oder nimmt den Abendhimmel lange wahr. Man ist dann eher in einem leicht enthusiastischen Zustand", berichtet er.
Seine Taschenlampe hat der Journalist bewusst selten eingesetzt, um sich auf die Nacht einzulassen. Zumal die Sterne und der Mond oft auch die Dunkelheit erhellt haben, sagt er.
"Wenn nur die Sterne am Himmel sind oder der Mond, dann ist es so hell, dass man Hunderte Meter weit sieht. Das kann nach einer Zeit sogar enttäuschend sein, weil man denkt: 'Wo ist denn die finstere Nacht?'"
Den offiziell dunkelsten Ort Deutschlands hat Dirk Liesemer in seinem Jahr der Nachtwanderungen auch besucht: Gülpe in Brandenburg.
Das Dorf im Naturpark Westhavelland ist weniger als hundert Kilometer von Berlin entfernt und Schauplatz für einen sternenübersäten Himmel. Auch die Milchstraße ist dort zu sehen, erklärt er, nachdem sich die Augen an die extreme Dunkelheit gewöhnt haben. Das würde etwa eine halbe Stunde dauern.
Hören, Riechen, Fühlen
"Das ist ganz witzig. Wenn es wirklich dunkel ist, dann kommen die anderen Sinne alle mit ins Spiel", sagt Dirk Liesemer. Neben dem Hören habe ihm das Riechen und Fühlen zum Orientieren im Wald geholfen.
Nachdem er die Nacht in seinen Streifzügen neu kennengelernt hat, ist für Dirk Liesemer klar: Wenn wir schlafen, wartet in der Natur eine ganze Welt auf uns, die es zu entdecken gilt.
Im Gespräch mit Rahel Klein erklärt Dirk Liesemer außerdem, warum wir die Dunkelheit tendenziell meiden und mit ihr sogar etwas Unberechenbares verbinden. Er berichtet über seine Streifzüge mit einem Glühwürmchen-Experten in Zürich und einem Sagensammler im Erzgebirge. Ihr erfahrt auch, was ihr tun könnt, wenn ihr einem Wildschwein begegnet und warum die Nacht perfekt für Menschen mit ADHS ist.