Wie legitim ist die militärische Antwort Israels in Gaza auf den Terror der Hamas? Diese Frage ist so umstritten wie komplex. Der Jurist Wolff Heintschel von Heinegg erklärt den Nahostkrieg aus völkerrechtlicher Perspektive.
Am frühen Morgen des 7. Oktober 2023 überfiel die radikalislamische palästinensische Terrororganisation Hamas organisiert und beispiellos grausam Zivilist*innen und Verteidigungskräfte in Israel. Das Land antwortete bald mit einer Bodenoffensive im Gazastreifen. Israels erklärtes militärisches Ziel: die Hamas vollständig zerstören.
"Es ist heute anerkannt, dass ein Staat sich auf das Selbstverteidigungsrecht berufen kann, wenn bewaffnete Angriffe von nichtstaatlichen Akteuren erfolgen."
Das Problem dabei: Bei der Offensive sterben zahlreiche Zivilst*innen, es gibt viele Verletzte, Menschen hungern, haben Durst, müssen fliehen, leiden, haben Angst.
Die Härte Israels sorgt daher mehr und mehr auch für Kritik und Diskussionen: Darf Israel die zivilen Opfer in Kauf nehmen? Oder begeht es mit seiner Operation Völkerrechtsbruch? Verübt es gar Kriegsverbrechen? Welche juristischen Regeln gelten in diesem Fall überhaupt?
"Der eigentliche Beurteilungsmaßstab dessen, was in Gaza gerade passiert, ist nicht das Selbstverteidigungsrecht, sondern das humanitäre Völkerrecht – das Recht des bewaffneten Konflikts."
In seinem Vortrag beleuchtet der Völkerrechtler Wolff Heintschel von Heinegg Israels Offensive in Gaza als Reaktion auf den terroristischen Überfall der Hamas aus völkerrechtliche Perspektive – vorläufig wohlgemerkt, da dieser Krieg noch am Toben ist und sich noch nicht abschließend bewerten lässt. Wenn das überhaupt je möglich ist. Dabei zieht der Jurist einige ernüchternde Schlüsse.
Humanitäres Völkerrecht schließt zivile Opfer nicht aus
Unter anderem stellt er fest, dass das humanitäre Völkerrecht "gar nicht so humanitär" ist. Danach ist es nämlich etwa keineswegs verboten, dass bei Angriffen gegen als zulässig definierte Ziele auch Zivilpersonen Schaden nehmen. Für Nicht-Jurist*innen können die rechtlichen Regelungen ziemlich grausam wirken.
"Es gibt keinen bewaffneten Konflikt, der sauber ist."
Wolff Heintschel von Heinegg ist Professor für Öffentliches Recht, insbesondere Völker- und Europarecht und ausländisches Verfassungsrecht, an der der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Seinen Vortrag "Gaza und das humanitäre Völkerrecht" hat er am 23. Januar 2024 an der Viadrina auf Einladung der studentischen Initiative European Law Students‘ Association (ELSA) gehalten.