Wir sind verabredet, auf der Autobahn oder im Urlaub – in vielen Situationen lassen wir uns von Apps navigieren. Dadurch verlernen wir es, Karten zu lesen und uns zu orientieren. Ein Verlust, der umkehrbar ist. Weiterer Bonus: Unser Gehirn dankt es uns.
Eins vorweg: Manch einer wird ein guter Orientierungssinn nachgesagt, andere geben von sich aus zu, dass sie in einer fremden Umgebung schnell lost sind. Aber einen Orientierungssinn wie viele Vogelarten, Wale und andere Tiere, die Tausende von Kilometer zurücklegen, um an ihr Ziel zu kommen, haben wir Menschen genau genommen nicht, sagt der Bildungspsychologe Stefan Münzer.
Der Mensch nutzt schon seit Jahrtausenden Hilfsmittel, um sich zurechtzufinden: Sextanten, Kompasse und Landkarten. Die letzte Innovation, um unseren fehlenden Orientierungssinn auszugleichen: Navigations-Apps.
"Die Sache hat sich als allgemeine kognitive Prothese für den Bereich einfach durchgesetzt."
Sie sind leicht zu handhaben, wir können bequem mit dem Smartphone darauf zugreifen und uns einfach leiten lassen, ohne uns orientieren oder auf den Weg achten zu müssen. Sie sind fast immer verfügbar, außer der Akku vom Handy ist alle oder das Netz ist nicht verfügbar. Und dann sind viele von uns plötzlich aufgeschmissen.
Den Dauereinsatz von Navigations-Apps sieht auch der Bildungspsychologe Stefan Münzer skeptisch. Denn wir erlernen gewisse Dinge erst gar nicht richtig: Einen Stadtplan haben wir mit großer Wahrscheinlichkeit sowieso nicht dabei, aber selbst wenn, dann fällt es uns schwerer, uns darauf zu orientieren. Die Übung fehlt.
Landkarten lesen, braucht Übung
So eine Landkarte müssen wir erstmal richtig lesen lernen. Dafür brauchen wir ein gewisses räumliches Vorstellungsvermögen: Gebäude, Flüsse oder Eisenbahnlinien müssen wir uns vorstellen und im Zweifel Straßennamen im Kopf behalten können. Mit dem Navi gehen diese Fähigkeiten verloren.
Entweder wir schlagen dann intuitiv eine Richtung ein oder müssen uns durchfragen, bis wir hoffentlich irgendwann an unserem Ziel ankommen. Das funktioniert in der Stadt, was aber, wenn wir in der Natur unterwegs sind und weit und breit niemand zu sehen ist, den wir fragen könnten? Dann bleibt zur Not nur noch die Sonne, um die Himmelsrichtung zu bestimmen.
"Man kann sagen, der Orientierungssinn nimmt ab."
Uns in bestimmten Situationen orientieren zu können, ist nicht nur im Alltag von Nutzen. Möglicherweise senkt es auch unser Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Eine Studie legt diese Vermutung nahe, sagt der Bildungspsychologe Stefan Münzer.
In dieser Untersuchung wurden in den USA Sterbeurkunden danach untersucht, ob Alzheimer diagnostiziert worden war und außerdem noch welchen Beruf diese Personen zu Lebzeiten hatten. Das Ergebnis: In speziellen Berufsgruppe – bei Taxifahrern und bei Krankenwagenfahrern – war die Wahrscheinlichkeit, dass Personen an Alzheimer verstorben sind, deutlich geringer als bei anderen Berufsgruppen, erklärt der Bildungspsychologe.
Ob das tatsächlich der Grund ist, konnte die Forschung bisher noch nicht nachweisen. Dass der Zusammenhang aber in der Statistik ganz eindeutig heraussticht, ist ein klares Indiz dafür, dass es kein Zufall ist.
Gedächtnistraining: Orientierung üben
Wer seine Orientierung aktiv verbessern will, kann beim nächsten Mal den Weg vorher planen. Sobald man unterwegs ist, gilt es das Navi auszuschalten. Um zu sehen, wie gut euer Orientierungssinn ist, könnt ihr zum Beispiel, wenn ihr im Urlaub seid, immer wieder mal die Richtung eures Hotels oder der Wohnung bestimmen, wo ihr untergekommen seid.
Dann kann man mit dem Navi oder einem Standplan checken, ob das auch stimmt. Und wenn euer Tipp weniger als 40 Grad abweicht, sagt der Bildungspsychologe Stefan Münzer, wisst ihr, dass ihr euch gut orientieren könnt.
"Ich kann das wieder trainieren. Die vorverdrahteten Systeme sind ja da. Ich kann das benutzen und wieder aufbauen."
