Der Neurobiologe Bernd Hufnagl ist überzeugt: Wir sollten uns alle mehr Zeit für Tagträume nehmen. Denn ohne Platz für Träumereien schränken wir uns selbst und unser Gehirn ziemlich ein.
Ein Kopfkino über eine Welt mit Aliens, oder die Vorstellung, wie es wäre, reich zu sein oder auch sexuelle Fantasien. Dass diese Tagträume wichtig sind für unser Gehirn, wie etwa der Neurobiologe Bernd Hufnagl behauptet, klingt erstmal absurd: Eigentlich lenken sie uns ja ab, von der Arbeit, von der Vorlesung oder von den Hausaufgaben.
Tagträume: Einfach mal die Gedanken schweifen lassen
Tagträume beschreibt Bernd Hufnagl auch als "nicht zielgerichtetes Denken". Es geht also um das Denken, das wir erleben, wenn wir mal unser Gehirn nicht mit ständigen To-Do-Listen aus dem Job oder der Uni beschäftigen. Dabei denken wir aber natürlich weiter, denn gar nicht zu denken können wir nicht.
Während diesen Tagträumen würden dann "Gedanken kommen – und das können durchaus berufsbedingte Gedanken sein –, aber die verschwinden relativ schnell", beschreibt der Forscher. Bei diesen Gedankenblitzen können dann neue Ideen und Einfälle entstehen, die Hufnagl als "kreative Gedanken" bezeichnet.
Dabei entstehen auch "synthetische Gedanken", wobei eine Verknüpfung aus zwei Gedanken entsteht. Das nennt der Wissenschaftler "plötzliches Lernen", was wir eben nur können, wenn wir nichts tun.
"Wir lernen dadurch zu differenzieren und zu relativieren."
Tagträume aktivieren das sogenannte "Default Mode Network" – auf Deutsch: das triviale Tagträumer-Netzwerk – im Hirn. "Dieses Netzwerk aktivieren zu können, ist aus vielerlei Hinsicht wirklich wichtig und auch notwendig", sagt Bernd Hufnagl. "Weil wir nur durch die Aktivierung dieses Netzwerks Abstand zu unseren eigenen Handlungen gewinnen."
Wenn wir das nicht tun, weil wir etwa zu beschäftigt sind, entwickeln wir uns zu Menschen, die einfach funktionieren. Man sollte aber nicht immer und ausschließlich ziel- und funktionsgerichtet denken, meint der Neurobiologe.
Ohne Tagträume fehlt die Selbstreflexion
"Wenn Sie das tun, dann bekommen Sie diese Außenperspektive aufs eigene Leben nicht und verhindern damit, dass Sie den Kurs Ihres eigenen Lebens korrigieren können", warnt Bernd Hufnagl. Kurz gesagt: Wenn wir das Tagträumer-Netzwerk nicht anschalten, dann können wir nicht reflektieren, was in unserem Leben passiert und was uns daran (nicht) gefällt.
"Wenn Sie nur funktionieren, also nur zielgerichtet denken, dann verhindern Sie die Aktivierung dieses Netzwerks."
Während eines Tagtraums könnte uns zum Beispiel auffallen, dass es in der Beziehung gerade nicht gut läuft oder dass man ein neues Hobby anfangen möchte – "und das tut es aber nur in der Ruhe", betont der Wissenschaftler. Bei der ultimativen Ruhe, beim Schlafen also, geht das allerdings nicht. "Weil beim Nachttraum das Bewusstsein ja nicht aktiv ist."
Wer jetzt mehr Tagträumen möchte, dem empfiehlt der Neurobiologe, das Smartphone wegzulegen und sich nicht mit Informationen dauerbeschallen zu lassen. Denn auch das sei schon zielgerichtetes Denken und verhindert das plötzliche Lernen.
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