Ab sofort sind Glücksspiele auch Online legal möglich. Expertinnen und Experten befürchten, dass dadurch vor allem die Suchtgefahr für Spielende steigt und kritisieren den neuen Glücksspielstaatsvertrag.

Onlineglücksspiele waren in Deutschland bisher großenteils illegal. Ab sofort ist das anders, seit dem 1. Juli gilt der neue Glücksspielstaatsvertrag.

Der ermöglicht es Anbieterinnen und Spielhallenbetreibern, eine offizielle Lizenz zu bekommen, mit der sie ein Onlinecasino in Deutschland betreiben dürfen, also Onlinespielangebote machen können. Das Onlineglücksspiel wird damit legal, was dem Schwarzmarkt entgegenwirken soll – so zumindest das Ziel der Politik.

Kritik gegen den neuen Glücksspielstaatsvertrag

Tobias Hayer von der Universität Bremen sieht das kritisch. Er forscht seit ungefähr 20 Jahren zu Glücksspielen und Spielsucht und ist der Meinung, durch die Legalisierung der Onlineglücksspiele wird die Spielsucht zunehmen – besonders bei den 20- bis 40-Jährigen.

"Die öffentliche Diskussion kommt viel zu spät. Wir haben jetzt ein Gesetzeswerk, das ich aus der Perspektive der Suchtprävention und des Spielerschutzes als kritisch ansehe."
Tobias Hayer, Glücksspielforscher an der Universität Bremen

Zwar sieht der Glücksspielstaatsvertrag auch Maßnahmen vor, die Spielende vor einer Sucht schützen sollen, der Glücksspielforscher bezweifelt aber, dass diese Maßnahmen in der Praxis ausreichend greifen werden. Dafür setze der legale Onlineglücksspielmarkt zu viele neue Spielreize.

1.000 Euro im Monat Online verzocken

Ein anbieterübergreifendes Einsatzlimit von 1.000 Euro pro Monat etwa soll Spielende davor schützen, sich zu überschulden. Erfüllen die Spielenden allerdings bestimmte Kriterien, können sie das Limit auf 30.000 Euro im Monat erhöhen, was den Zweck des Limitierungssystems wieder aufhebt, so Tobias Hayer. Auch sei die Grenze von 1.000 Euro zu hoch angesetzt. Eine andere Maßnahme ist eine deutschlandweite Sperrdatei, um gefährdete Personen für Onlineglücksspiele zu sperren.

Ähnlich wie Deutschland habe auch England den Onlineglücksspielmarkt schon vor 15 Jahren legalisiert. Spanien und Italien sind wenig später dazugekommen. Heute, so der Glücksspielforscher, versuchen die Länder, die negativen Folgen der Legalisierung wie Spielmanipulation oder Geldwäsche durch Verbote und das Einschränken von Werbung wieder einzudämmen. Eine ähnliche Entwicklung sieht er auch auf Deutschland zukommen.

Kein ausreichender Schutz vor Spielsucht

Etwas Illegales zu legalisieren, bringt nicht zwingend auch Schutz für die Spielenden, sagt er. Der Sportwettenmarkt etwa war Online schon vor dem neuen Glücksspielstaatsvertrag geöffnet. Seitdem beobachtet der Glücksspielforscher, wie stark die Werbung dafür zunimmt: "Das ist eine fatale Entwicklung, die wir jetzt auch im Onlinecasinomarkt bekommen werden." Hinzu kommt, dass der Schwarzmarkt als Reaktion auf die Legalisierung zukünftig noch attraktivere Reize für Spielende setzen werde.

"Sie können von Flensburg bis München legal an allen Formen des Onlineglücksspiels teilnehmen. Das setzt neue Spielanreiz unter dem Deckmantel der Legalität, verbunden mit der entsprechenden Suchtgefahr."
Tobias Hayer, Glücksspielforscher an der Universität Bremen

Eine halbe Million Deutsche glücksspielsüchtig

Knapp eine halbe Million Menschen in Deutschland hat ein pathologisches oder problematisches Glücksspielverhalten, so die letzte Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 2019.

Als typische Symptome für eine Glücksspielsucht beschreibt Tobias Hayer:

  • Dosissteigerung: Das Spielverhalten der Betroffenen wird länger, regelmäßiger und riskanter.
  • Abstinenzunfähigkeit: Spielende haben das Gefühl, sie müssten zocken.
  • Das Glücksspiel wird zum Lebensinhalt.

Als Folge einer Glücksspielsucht verlieren die meisten Betroffenen vor allem viel Geld, erklärt er. Das zeige sich in Form von Schuldenbergen bis hin zur Privatinsolvenz. Im schlimmsten Fall würden mit diesen Folgen Selbstmordgedanken oder Suizid einhergehen.

"Glücksspielsucht ist eine sehr teure Suchterkrankung. Die Spielenden verzocken sich, verlieren ziemlich viel Geld, verschulden sich, rutschen in die Privatinsolvenz."
Tobias Hayer, Glücksspielforscher an der Universität Bremen

Wodurch das Suchtpotenzial bei Onlineglücksspielen besonders steigt, erklärt Tobias Hayer, ist ihre ständige Verfügbarkeit. Spielende können mit ihrem Smartphone oder Computer jeden Tag ununterbrochen von überall auf das Onlineangebot zugreifen.

Zumal die soziale Kontrolle im Netz wegfällt. Anders als in der analogen Spielhalle können sie in den Onlinecasinos wesentlich anonymer an den Spielen teilnehmen. Auch der bargeldlose Spieleinsatz über eine Kreditkarte oder eine Prepaid-Karte birgt das Risiko, schneller den Überblick über das eingesetzte Geld und den Geldwert zu verlieren.

Hilfe holen bei Spielsucht

Beobachten Menschen Tendenzen einer Spielsucht oder ein problematisches Spielverhalten bei sich, sollten sie sich Hilfe holen – am besten so früh wie möglich, so der Glücksspielforscher. Hilfsangebote gibt es auch für Angehörige. Neben einer ambulanten Suchtberatung oder Selbsthilfegruppen gibt es auch Beratungen im Netz oder per Telefon.

Hilfe bei Glücksspielsucht bietet zum Beispiel die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung für Spielende und auch Angehörige an. Die Beratung ist Online und auch am Telefon möglich. Wer möchte, kann das Angebot anonym nutzen.

Solltest du von Suizidgedanken betroffen sein, versuche, mit anderen darüber zu sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein, müssen es aber nicht. Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen du – auch anonym – mit anderen Menschen sprechen kannst. Eine Übersicht der Angebote findest du zum Beispiel bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.

Sofortige Hilfe erhältst du rund um die Uhr bei der Telefonseelsorge unter der kostenlosen Rufnummern 0800 - 111 0 111 und 0800 - 111 0 222. Und im Internet unter www.telefonseelsorge.de.

Shownotes
Glücksspielstaatsvertrag
Onlineglücksspiele sind legal – Schutz vor Spielsucht fehlt
vom 01. Juli 2021
Moderator: 
Paulus Müller
Gesprächspartner: 
Tobias Hayer, Glücksspielforscher an der Universität Bremen