Ibrahim hat für deutsche Organisationen gearbeitet und floh vor den Taliban nach Pakistan. Deutschland hat ihm Schutz zugesagt – und dann die Zusage zurückgenommen. Wie konnte das passieren?
Für Ibrahim* und seine Familie scheint die Lage zurzeit ausweglos. Der Familienvater hat als Ortskraft in Afghanistan in einem Alphabetisierungsprogramm der Polizei mitgearbeitet – bis die Taliban 2021 die Macht im Land übernommen haben.
Insgesamt elf Jahre lang hat Ibrahim für dieses Programm der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gearbeitet. In seinem Unterricht hat er Themen wie Menschenrechte, Demokratie und Gewalt gegen Frauen behandelt.
"Sie (Anm.: die Taliban) behaupteten, ich sei ein Spion der Deutschen und engagiere mich für Menschenrechte - was ihrer Ansicht nach der Auslegung der Scharia widerspreche."
Die Taliban sehen Ibrahim als Verräter an. Denn das, wofür er sich eingesetzt hat - für Bildung, Menschenrechte und Demokratie - halten sie für einen Widerspruch zur Scharia, also der Gesamtheit der islamischen Gesetze und rechtlichen Normen, die als Grundlage der afghanischen Rechtsprechung dienen.
Taliban: Gewalt gegen ehemalige Ortskräfte und ihre Angehörigen
Die Taliban hatten Ibrahims Söhne mehrfach Gewalt angetan, um seinen Aufenthaltsort herauszufinden. Die Familie war daraufhin im Jahr 2024 in die pakistanische Hauptstadt Islamabad geflohen und ist dort wie rund 2.000 andere Menschen in einfachen Hotels und Unterkünften gestrandet, erklärt Peter Hornung, unser Korrespondent im ARD-Studio Neu Delhi.
"Sie schlugen meinen jüngeren Sohn und fragten ihn: Wo ist dein Vater? Er war ein Abtrünniger, ein Spion, und wir müssen ihn für seine Taten bestrafen."
Ibrahim hatte die Zusage, als ehemalige Ortskraft in Deutschland Schutz zu bekommen. Monatelang wartete er mit seiner Familie darauf, dass etwas passiert. Die Familie machte einen DNA-Test, absolvierte die benötigten Sicherheitsinterviews. Dann erhält Ibrahim Anfang Dezember völlig überraschend die Nachricht, dass die Visa für ihn und seine Familie ohne weitere Begründung abgelehnt wurden.
Verbindlichkeit bei Aufnahmeprogrammen sehr unterschiedlich
Nach der Machtübernahme der Taliban wurden von der damaligen Bundesregierung vier unterschiedliche Aufnahmeprogramme gestartet. Diese Programme unterscheiden sich sehr stark darin, wie verbindlich sie sind – das heißt: ob man als Betroffene*r ein Visum für Deutschland rechtlich einfordern kann.
Beim sogenannten Bundesaufnahmeprogramm sieht es gut für die Betroffenen aus. Da haben Gerichte zuletzt immer wieder gesagt, dass Menschen mit Aufnahmezusage kommen dürfen. Bei anderen Programmen, wie dem Ortskräfte-Programm, ist das deutlich schwieriger. In diesen Fällen kann das zuständige Innenministerium die Zusagen zurückziehen. Viele Visa werden dann abgelehnt. Und das ist zuletzt auch bei zahlreichen Familien passiert.
Ausweglose Situation
Das Geld ist aufgebraucht, erzählt Ibrahim, seine Kinder gehen seit Monaten nicht mehr zur Schule und eine Ausreise in ein sicheres Land ist zurzeit nicht möglich. Ibrahim und seine Familie sehen derzeit keinen Ausweg. Die deutsche Regierung hat ihre Zusage ihm gegenüber nicht eingehalten, sagt er. Vielen ergeht es so. In manchen Fällen klagen NGOs, damit gefährdete Afghanen Asyl erhalten.
"Jetzt frage ich mich, wohin wir gehen sollen. Denn unsere gesamte Situation und unser ganzes Leben sind zusammengebrochen."
Zudem hat Deutschland denjenigen, die davon absehen, in Deutschland Asyl suchen zu wollen, Geld angeboten. Dieses Angebot wird von vielen der Betroffenen - afghanische Journalist*innen, Anwält*innen, Richter*innen oder Menschenrechtsaktivist*innen etwa - gar nicht in Erwägung gezogen. Denn mit einer Rückkehr ins Heimatland würden sie ihr Leben aufs Spiel setzen.
Eine Rückkehr nach Afghanistan ist für viele unmöglich
Rückkehr ist für viele also keine Option. Aber Pakistan will diese Menschen auch nicht länger im Land behalten. Gelegentlich werden Afghan*innen von der pakistanischen Polizei aufgegriffen und in Camps gesteckt, um von dort aus abgeschoben zu werden. Ibrahim und seine Familie haben sich eine Zeitlang in den Bergen versteckt, um nicht von Polizisten mitgenommen zu werden. Einige seiner Kolleg*innen, die aus Pakistan nach Afghanistan abgeschoben wurden, verstecken sich nun in Kabul, um nicht von den Taliban entdeckt zu werden, erzählt Ibrahim
"Wir wissen nicht, wohin wir gehen sollen, wie wir gehen sollen und mit welchen Mitteln. Im Moment gibt es für uns keinen Ausweg."
Monatelang waren die Sicherheitsinterviews mit afghanischen Ortskräften ausgesetzt, erklärt unser Korrespondent Peter Hornung. Und der Bundesinnenminister Alexander Dobrindt betone immer wieder, dass das Prozedere lange dauern würde – und zugleich, dass Deutschland eine Verantwortung für die Ortskräfte habe.
Dennoch sagt unser Korrespondent, dass es ein starkes politisches Interesse im Bundesinnenministerium und damit auch in der Bundesregierung gibt, diese Ortskräfte nicht nach Deutschland kommen zu lassen.
Hinweis: Unsere Bitte um Stellungnahme zu diesem Thema an das Bundesinnenministerium blieb bis zum Redaktionsschluss am 11. Dezember 2025 um 15:20 Uhr unbeantwortet.
Anmerkung zum Artikelbild: Das Foto zeigt nicht den Interviewpartner oder seine Familie. Zu sehen ist eine Szene während der Begrüßung von 47 Afghaninnen und Afghanen, sogenannten Ortskräfte und ihren Angehörigen, die am 1. September 2025 am Flughafen in Hannover ankamen.
* Name auf Wunsch des Interviewpartners geändert
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