Queer sein und für die katholische Kirche arbeiten. Klar, das gibt es – doch auch im Jahr 2022 ist das immer noch ein Tabuthema. 125 Menschen haben nun den Schritt gewagt und sich für ein gemeinsames Coming-out entschieden. Was diese Menschen für sich und die Kirche erreichen wollen, haben wir mit einem besprochen, der bei #Outinchurch mitgemacht hat.
Es ist wahrscheinlich das größte Coming-out, das es in der katholischen Kirche bisher gegeben hat: In der ARD-Doku "Wie Gott uns schuf" haben 125 Mitarbeitende, die von der Katholischen Kirche in Deutschland beschäftigt werden oder wurden, offen bekannt, dass sie queer sind - darunter Priester, Gemeindereferent*innen, Religionslehrer*innen oder Verwaltungsangestellte.
Unter dem Namen #OutinChurch fordern sie ein Ende der Diskriminierung Andersdenkender innerhalb der Kirche.
Theo: trans, katholischer Reli-Lehrer
Einer dieser Menschen ist Theo Schenkel, 27 Jahre alt. Theo ist trans, früher war er lange Zeit eine Frau, jetzt macht er eine Geschlechtsangleichung und lebt als Mann. Er ist angehender Religions- und Französisch-Lehrer und macht gerade sein Referendariat.
"Meistens ist es gar nicht mehr so schwer für mich zu sagen, dass ich trans bin. Weil es einfach wichtig ist, das zu sagen, damit die Menschen das auch wissen, dass sie irgendwie Vorbilder haben. Das hat mir nämlich oft gefehlt."
Zu sagen, dass er trans ist, falle ihm nicht (mehr) schwer. Es sei wichtig, darüber zu reden, ihm hätten damals die Vorbilder gefehlt, sagt er. Bei der Doku mitzumachen, sei ihm aber durchaus schwergefallen. Weil der Film Konsequenzen haben kann, die theoretisch seine gesamte berufliche Planung über den Haufen werfen könnten. Niemand wisse ja so richtig, was passieren wird. Bei der Doku mitzumachen, sei also ein ziemlicher Schritt ins Ungewisse hinein gewesen.
Doku bringt berufliche Zukunft in Gefahr
Die konkrete Gefahr: Es könnte Theo passieren, dass er nach seinem Abschluss keine Lehrerlaubnis als katholischer Religionslehrer bekommt. Dann wäre er mit Französisch ein "Ein-Fach-Lehrer" – und diese würden in der Regel nicht verbeamtet, sagt Theo.
Da er am Beruflichen Gymnasium unterrichtet, wo nicht ganz so viel Fremdsprachenunterricht angeboten werde, könne es zudem schwierig werden, die 25 Wochenstunden vollzubekommen. Er würde dann vielleicht erst gar nicht in den Schuldienst reinkommen, sagt Theo.
Kirche gab "Go" für Referendariat
Schon für das Referendariat musste die Kirche ihre Zustimmung geben – und hat es auch gemacht. Theo hat die verantwortlichen Stellen vorher informiert – allein schon deshalb, weil ja natürlich auch seine Unterlagen gar nicht alle übereinstimmten.
"Es gab eine Einzelfallentscheidung, damit ich eine fertige Ausbildung habe. Wie das jetzt alles weitergeht, wurde mir aber nicht zugesichert."
Es hat also schon Gespräche gegeben, sagt Theo. Es sei zunächst mal eine Einzelfallentscheidung getroffen worden, damit er sein zweites Staatsexamen machen kann und zumindest eine fertige Ausbildung hat. Inwiefern das jetzt alles weitergeht, sei ihm bis jetzt aber noch nicht zugesichert worden.
"Für die Kirche bin ich eine Frau"
Theo Schenkel arbeitet gerne für die katholische Kirche, sagt er und repräsentiert sie auch gern vor der Klasse. Dort als "Frau Schenkel“ aufzutreten, kann er sich nicht mehr vorstellen. Doch für die Kirche ist und wird er immer eine Frau bleiben. Eine Angleichung des Geschlechts sei dort nicht möglich, sagt Theo. Er wird also Briefe bekommen mit der Anrede "Frau Schenkel".
Und es gibt ein noch größeres Problem: Falls er seine Freundin heiraten würde, wäre das für die Kirche eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft – und damit ein Grund, dass er seine Lehrerlaubnis verlieren könnte. Deswegen sei ihm auch nahegelegt worden, erstmal nicht zu heiraten.
"Die Verantwortlichen der katholischen Kirche haben mir nahegelegt, erstmal nicht zu heiraten."
Von der Aktion #outinchurch erhoffen sich die Teilnehmenden, dass Gespräche stattfinden und dass sich etwas verändert, sagt Theo. Dass die Kirche sich anpasst und "irgendwie aktueller wird sozusagen". Außerdem wollten sie anderen Betroffenen zeigen: Hey, ihr seid nicht allein!
Viel mehr als 125 Personen
125 Menschen, die sich outen, sei definitiv nicht die realistische Zahl von queeren Menschen, die für die Kirche arbeiten. Es gebe noch viele, viele mehr, die sich ein Outing aber oft einfach nicht leisten könnten – zum Beispiel, weil sie keine beruflichen Alternativen haben und Angst haben, ihren Job zu verlieren.
Theo arbeitet für eine Kirche, die ihn diskriminiert und in seiner Identität nicht akzeptiert. Doch ihm sei es das wert, sagt er. Weil ihm der Religionsunterricht sehr wichtig sei und er selbst viel dabei lerne. Es mache ihm großen Spaß, mit Jugendlichen über Religion zu diskutieren und sie "einfach mal ein bisschen wachzurütteln" mit Fragen wie: Brauche ich Religion? Was ist der Sinn des Lebens? "Diese ganzen großen Fragen, die in anderen Fächern vielleicht ein bisschen weniger Platz haben".
"Es ist mir das wert. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass auch Menschen wie ich Religion unterrichten – und eben nicht nur Leute, die 'perfekt katholisch' sind sozusagen. Weil auch unsere Schüler nicht perfekt katholisch sind."
Er sei davon überzeugt, dass gerade auch Menschen wie er, die eben "nicht perfekt katholisch" sind, Religion unterrichten sollten. Denn auch die Schülerinnen und Schüler seien das nicht. Es wäre also irgendwie unrealistisch, diesen jungen Menschen nur einen "klassischen Religionslehrer" vorzusetzen, findet Theo. Vielfalt sei keine Gefahr, sondern eine Chance.
Deshalb habe er sich dafür entschieden, erst einmal ein Teil der Kirche zu bleiben und vielleicht von innen heraus etwas an ihr zu verändern. Auch weil er im persönlichen Umfeld immer wieder erfahre: Ja, Kirche kann auch anders sein, kann zum Beispiel auch bunte Jugendarbeit sein, in der das überhaupt kein Thema ist, dass er trans ist.
Die Doku "Wie Gott uns schuf" ist in der ARD-Mediathek online zu finden und bis zum 24.01.2027 dort zu sehen.