Die Bevölkerung in Hongkong ist geteilt in das Pro-Demokratie- und das Pro-Regierungs-Lager. Diese Aufteilung zeigt sich im Alltag: Fast jede Konsum- und Kaufentscheidung ist mittlerweile politisch. Vor allem in Chatgruppen werden Restaurants oder Läden politisch gelabelt. Doch wer darüber entscheidet, ist kaum nachvollziehbar.

Seit Sommer 2019 gibt es immer wieder Proteste in Hongkong gegen die Regierung und damit auch gegen die politische Führung in Peking. Die Demonstranten organisieren sich meist über Chatgruppen. Bislang haben sich für die Pro-Demokratie-Bewegung kein einzelner Anführer oder Anführerin herausgebildet, sagt ARD-Korrespondent in China, Alfred Schmit. Welcher Protest, wann und wo startet, wird digital kommuniziert.

Gelb / Pro-Demokratie vs Blau / Pro-Regierung

In den zig Chatgruppen werden auch Restaurants und alle möglichen Läden farblich und damit politisch markiert. Das heißt, sie bekommen ein Label aufgedrückt:

  • Gelb bedeutet, dass sie zur Pro-Demokratiebewegung gehören.
  • Blau, dass sie die Regierung und damit Festland-China unterstützen.
  • Grün: Restaurants und Geschäfte sind neutral.

Auch beim Essen und Einkaufen geht es darum, Farbe zu bekennen und damit auch die politische Haltung auszudrücken. Jeder Einkauf, jeder Restaurantbesuch ist mittlerweile politisch, so Alfred Schmit. "Diese Lagereinteilung hat Hongkong ziemlich fest im Griff."

"Jede Konsumentscheidung, jede Kaufentscheidung ist mittlerweile auch eine politische Sache."
Alfred Schmit, ARD-Korrespondent China

Die farbliche Markierung bringt für die Restaurant- und Ladenbesitzer aber auch Probleme mit sich. Anni zum Beispiel führt ein Restaurant in Hongkong, das in den Chatgruppen blau markiert wurde. Sie beschwert sich über online Mobbing, so Alfred Schmit. Ihr Laden sei im Netz mit schlechten Kommentaren überzogen worden. Außerdem hätten sich Menschen zum Beispiel beim Gesundheitsamt über sie beschwert.

"Es wurden tausende schlechter Kommentare auf unserer Webseite und über die sozialen Medien gepostet."
Annie, Snack-Shop-Besitzerin in Hongkong

Einfacher ist es für die Restaurants, die gelb gelabelt wurden, denn die Mehrheit der Hongkonger unterstützen die Pro-Demokratiebewegung. Coco betreibt ein Café in Hongkong, das zum gelben Lager zählt. Im Moment sei das ein Vorteil, aber auch eine Gefahr.

Farbe bekennen

Coco und ihr Mann befürchten, dass sie von Anhängern des blauen Lagers Ärger bekommen könnten. Aber sie will sich nicht von Angst leiten lassen. "Das ist genau das, was die Regierungen in Hongkong und Peking wollen, dass wir unseren Mund nicht aufmachen", sagt Coco. "Aber man muss doch Farbe bekennen."

"Wir machen uns schon Sorgen, weil wir so eindeutig zu den gelben Läden gehören. Also zu den Unterstützern der Demokratiebewegung."
Coco, Restaurant-Besitzerin in Hongkong

Problematisch an den Labels ist auch, dass unklar ist, wer diese vornimmt. "Manchen Leuten wird die Kennzeichnung einfach so auf das Auge gedrückt", sagt Alfred Schmit. Beziehungsweise ihre Internetpräsenz wird einfach entsprechend markiert.

Die Markierungen scheinen auch davon abhängig zu sein, in welchen Chatgruppen die Besitzer und Besitzerinnen sind und welche Meinungen sie in den sozialen Medien vertreten. Manche Geschäfte versuchen die gelben oder blauen Label auch wieder loszuwerden, sie wollen neutral bleiben.

Demonstranten bilden in Hongkong am 30.09.2019 eine Menschenkette.
© ZUMA Press | imago
Die Proteste in Hongkong halten seit Sommer 2019 an.

Die Protestbewegung in Hongkong organisiert sich im Verborgenen. Wer die die Fäden zieht, ist nicht bekannt, sagt Alfred Schmit. Das soll vor allem Aktivisten und Aktivistinnen davor schützen, verhaftet zu werden. "Aber es ist auch problematisch, weil die Regierung niemanden hat, auf den sie zugehen kann – im Sinne von Verhandlungen", sagt Alfred Schmit.

Shownotes
Gespaltene Gesellschaft
Hongkong: Konsum ist mittlerweile politisch
vom 23. Januar 2020
Moderatorin: 
Diane Hielscher
Gesprächspartner: 
Alfred Schmit, ARD-Korrespondent China