Die Corona-Krise bestimmt zurzeit unser Leben maßgeblich. Viele andere Probleme haben sich deshalb aber nicht in Luft aufgelöst. Da Proteste auf der Straße nur schwer machbar sind, greifen viele Organisatoren auf kreative Protestansätze zurück.
Demonstrationen mit hunderten oder tausenden von Menschen auf der Straße – das ist in Zeiten der Corona-Krise eine unmögliche Vorstellung. Für den Protestforscher Simon Teune sind aber vor allem die Demonstrationen im öffentlichen Raum sehr wichtig, um mit anderen Menschen gemeinsam ein Problem in die Öffentlichkeit zu tragen.
"Proteste im öffentlichen Raum sind deswegen wichtig, weil man damit sein Thema tatsächlich sichtbar machen kann. Und es ist schwierig, das ohne diese öffentliche Präsenz zu machen."
Bei den Aktivistinnen und Aktivisten steht deshalb fest: Der Protest muss irgendwie weiter gehen. Während einige Protestierende mit Sicherheitsabstand und Mundschutz auf die Straße gehen, versuchen andere im Netz kreativ zu werden. Auch Protestformen aus autoritären Regimen dienen vielen Aktivisten als Vorbild.
Zwei Meter Sicherheitsabstand
Die Umweltaktivistin Hanna Podding hat beispielsweise in der Flensburger Innenstadt eine Demonstration mit zwei Meter Sicherheitsabstand organisiert. Dabei stellten sich die Demonstrierenden in einer Linie auf, manche mit und manche ohne Mundschutz, und hielten verschiedene Schilder hoch, die sie im Zusammenhang mit der aktuellen Krise für wichtig hielten.
"Wir haben uns in die Flensburger Innenstadt gestellt mit unserer Demo und uns in einer Linie hintereinander aufgestellt, ungefähr immer so mit zwischen eins fünfzig oder zwei Metern Abstand."
Für Hanna Podding ist der analoge Protest wichtig. Es zähle nicht nur zu sagen: "Ich bin dagegen!" Man müsse sich auch körperlich in den Weg stellen, um den Widerstand deutlich zu machen. Das würde online nur schwer gehen.
"Es geht ja bei manchen Aktionen durchaus nicht nur darum zu sagen, ich bin dagegen, sondern sich dem auch in den Weg zu stellen."
Trotzdem findet Hanna Podding Proteste auch in der virtuellen Welt wichtig. Dabei spielen vor allem die sozialen Netzwerke eine große Rolle.
Virtuelle Demonstration
Die haben zum Beispiel Aktivistinnen und Aktivisten vom Bündnis "Seebrücke" für ihren Protest genutzt: Sie haben sich auf einer virtuellen Demo-Route zusammengefunden, um sich für die Aufnahme von Geflüchteten aus Griechenland einzusetzen. Diese Route wurde "abgegangen", indem die Demonstrierenden nacheinander die Social-Media-Kanäle der verschiedenen Institutionen besuchten.
Der virtuelle Weg ging vom Bundesinnenministerium über das Auswärtige Amt zum Regierungssprecher Steffen Seibert. Auf europäischer Ebene wurden die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und EU-Innenkommissarin Ylva Johannsson virtuell besucht.
Während der Demo wurden die Teilnehmer dann dazu aufgerufen, bei den Social Media Kanälen der einzelnen Stationen eine Art Protest-Kommentar zu hinterlassen. Mitorganistor Fabian Lind erzählt, dass dabei die Kanäle der Institutionen mit Nachrichten und Bilder überflutet worden seien. Parallel lief ein Live-Stream mit Beiträgen der Aktivistinnen und insgesamt 40.000 Aufrufen.
Online- und Offline-Demo kombinieren
Jenny Stupka vom "Bündnis Deutsche Wohnen enteignen" findet vor allem die Kombination aus Online- und Offline-Demonstration gut. Für einen geplanten Mietenaktionstag im März hatte sie Freunde und Bekannte gebeten, Fotos mit Schuhen im Treppenhaus oder auf der Straße zu posten. So sollte nachgestellt werden, wie sich Familien oder WGs auf den Weg zu einer Demonstration machen.
Zum europaweiten Housing Action Day 2020 am 28. März wurden dazu ebenfalls viele Bilder in den sozialen Netzwerken gepostet.
Protestformen aus autoritären Regimen als Vorbilder
Protestforscher Simon Teune findet vor allem den Aspekt spannend, dass viele Proteste und Demonstrationen von der Situation Protestierender aus autoritären Regimen inspiriert würden. Denn wo Demonstrationsverbote und Ausgangssperren normal sind, greifen Aktivisten und Aktivistinnen schon lange auf alternative Protestformen zurück.
Dazu gehört beispielsweise der Cacerolazo - eine Protestform, die etwa in Südamerika oder Katalonien bekannt ist. Beim Cacerolazo schlagen die Demonstrierenden auf Töpfe oder singen Lieder - sie protestieren also mit viel Lärm. Das geht auch von Balkonen oder Fenstern aus.
"Zum Beispiel, dass man abends auf dem Balkon singt oder mit Töpfen Lärm macht, der Cacerolazo – das sind ja Protestformen, die anderswo im Iran oder in Chile eingeübt worden sind, und die deswegen auf die Situation jetzt eigentlich ganz gut übertragbar sind."
Das hat sich auch das Team des Housing Action Days für seine Aktion abgeschaut. Um Punkt 18 Uhr wurde zum Lärm machen an Fenstern und Balkonen aufgerufen.
Jenny Subtka sieht diese Form der Demonstration insbesondere gegen die Wohnungssituation in Deutschland als eine Chance. Denn so könne man an dem Ort demonstrieren, um den es wirklich gehe: die eigene Wohnung, das eigene Haus.
"Wenn ich jetzt zu einer physischen Demo gehen würde, dann bin ich halt weg aus meiner Straße. Wohnen ist ja eigentlich ein Thema, wo man sich besonders mit den Leuten im eigenen Haus, im eigenen Wohnblock gemeinsam organisieren muss."
Für Jenny Subtka können derartige Einschränkungen durch die Corona-Krise also auch zum Vorteil für die Demonstrierenden werden.