In Freundschaften läuft es nicht immer nur locker-flockig. Manchmal müssen wir auch mit den engsten Friends über Bedürfnisse und Erwartungen sprechen oder Grenzen abstecken. Es ist eine Beziehung, nicht selbstverständlich – und erfordert Einsatz.
Sibel ist Mitte 20. Freund*innenschaften haben für sie einen hohen Stellenwert. Friends brauche man immer im Leben. Sie nennt enge Beziehungen Prioritätenships. Dabei spielt Respekt für sie eine zentrale Rolle.
"Das, was mir am allerwichtigsten ist, ist der gegenseitige Respekt."
In der Vergangenheit hat sie die Erfahrung gemacht, dass Menschen in einer Freund*innenschaft übergriffig waren. Das empfand sie zum Beispiel, wenn jemand von ihr verlangt, permanent auf Whatsapp erreichbar zu sein und sofort auf jede Nachricht zu reagieren. Sie findet, für eine gute Freundschaft brauche es Raum und gegenseitiges Verständnis.
Kontakt zur Freundin verloren – und wiedergefunden
Sibel hat eine Freundin, die sie schon sehr lange kennt. "Wir haben uns in der Schule kennengelernt, ich weiß nicht, ob es fünfte oder sechste Klasse war, und sind direkt beste Freunde geworden und haben gefühlt jeden zweiten Tag irgendwo bei wem zu Hause verbracht", erzählt sie.
Als Sibel für ein Jahr in die USA geht, hat sie dort eine schwierige Lebensphase, "weil ich da wirklich so einen Nervenzusammenbruch nach dem nächsten hatte." Und genau in der Zeit kommt dann ihre Freundin zu Besuch. "Dafür bin ich ihr unglaublich dankbar, weil sie so besondere Zeit mit mir verbracht hat und mich wirklich emotional einfach nur durch ihr Dasein gestärkt und gekräftigt hat, sodass ich das Jahr tatsächlich durchgezogen habe", sagt Sibel.
"Freundschaften fängt man nicht an, sondern das passiert einfach. Die tatsächliche Arbeit kommt dann erst im Verlauf der Freundschaft."
Nach ihrer Rückkehr verliert sich der Kontakt zwischen den beiden Freundinnen. Sibel sagt, sie habe sich in der Zeit sehr zurückgezogen. Die Freundin schließt daraus, dass Sibel die Freundschaft beenden will. Ein paar Jahre haben sie keinen Kontakt, bis die Freundin Sibel eine sehr lange Nachricht schreibt, in der sie nach Antworten sucht, warum diese enge Freundschaft auseinandergehen konnte. "Ab da wusste ich dann: 'Oh wow, es ist so stark und so mutig von ihr, dass sie noch mal zu mir kommt und um Klarheit bittet'", sagt Sibel.
Nach der Funkstille haben sich die beiden doch wieder füreinander entschieden, Dinge aufgerollt und vielleicht auch den ein oder anderen unangenehmen Moment im Gespräch ausgehalten.
Wir haben weniger, aber engere Freundschaften
Der Zukunftswissenschaftler Ulrich Reinhard beschäftigt sich mit der Frage, wie wir leben wollen und weiß aus der Forschung, dass Freunde für uns inzwischen eine Art Wahlfamilie sind: "Die wählst du dir selber aus und die haben dann eben entsprechenden Stellenwert. Und wenn man es jetzt konkret machen will, kann man sagen, im Laufe der letzten Generation, also so innerhalb von 30 Jahren, hat die Anzahl von guten Freunden von sieben auf drei abgenommen. Also mehr als eine Halbierung." Wir haben also weniger Freund*innen, aber die einzelnen Beziehungen sind dafür enger geworden.
Eine Erklärung dafür sind veränderte Familienstrukturen. Wir leben heute weniger in dieser ganz klassischen Familie mit Mutter und Vater, die verheiratet sind und mehrere Kinder haben. Dafür gibt es mehr Alleinlebende, Alleinerziehende, Klein- oder Patchworkfamilien. "Das heißt, was in den früheren Zeiten die Familie aufgefangen hat, eben die Gespräche, die Zeit, die man miteinander verbracht hat, das sind heute oftmals eher die Freunde", sagt Ulrich Reinhard.
"Der Stellenwert von Freundschaften an sich hat eher zugenommen."
Der Zukunftsforscher geht davon aus, dass sich in den kommenden Jahren vor allem ein Motiv weiter durchsetzen wird – und zwar in Abgrenzung zur FOMO, also zur Fear of Missing out: "Heute ist es ganz klar JOMO, also Joy of Missing Out. Ich muss nicht mehr bei jeder Party dabei sein, ich muss nicht mehr mit in jede Kneipe kommen, ich muss mich nicht ständig treffen, sondern ich kann auch ganz bewusst mal wieder nur Zeit für eine Sache haben, vielleicht für einen Freund, für eine Freundin und das ist dann wirklich eher Qualität als Quantität."
Tipps für die Freundschaftspflege
Aber wie funktioniert gesunde Beziehungsarbeit? Antworten auf diese Fragen hat Andrea Newerla. Sie ist Soziologin, Autorin und auch Beziehungsberaterin mit konkreten Coaching-Angeboten für Freundinnen. Andrea Newerla sagt, Beziehungsarbeit mit Freund*innen lohnt sich immer.
"Mal ist es mehr ein Geben, mal ist es mehr ein Nehmen und das gleicht sich ja meistens irgendwie aus, wenn es ein gut geführtes und ein gut kommuniziertes Miteinander ist."
Viele kennen es: Wir sind frisch verliebt und in einer neuen Beziehung. Und während wir uns voll und ganz auf den oder die neue Partner*in konzentrieren, vernachlässigen wir unsere Freund*innen. "Wir sollten aufpassen, dass wir das nicht in einen Dauerzustand überführen, weil unsere Freundschaften, das wissen wir eigentlich alle, sind uns genauso wichtig. Dafür müssen wir was tun, wenn wir die auch aufrechterhalten wollen", sagt Andrea Newerla.
"Unausgesprochene Erwartungen sind in allen Formen von Beziehungen oftmals ein Problem. Die sind ja zum Beispiel auch in einer Liebesbeziehung ein Problem."
Andrea Newerla sagt, unausgesprochene Erwartungen sind in allen Beziehungen problematisch – egal ob Partnerschaft oder Freundschaft. Allerdings falle es uns schwerer, mit engen Freund*innen über Erwartungen und Verbindlichkeiten zu sprechen als mit einem Partner oder einer Partnerin. Dabei kann das auch hier sehr hilfreich sein.
Die Beziehungscoachin empfiehlt, für gute Freundschaften regelmäßige Check-ins zu machen. "Nicht nur vielleicht über schöne Dinge zu reden, sondern auch zu sagen: 'Lass uns hier einmal im Monat eine halbe Stunde darüber reden, wie es uns gerade geht, wie es uns eigentlich miteinander geht.' Weil auch in Freundschaften können Konflikte auftauchen, können Probleme auftauchen." Andrea Newerla sagt, wenn wir Probleme frühzeitig erkennen und bearbeiten, dann können wir auch gute Wege finden, um miteinander umzugehen.
Freundschaften sind weniger genormt als Liebesbeziehungen
Aber: "Es kann auch sein, dass das nicht funktioniert", sagt sie und dass wir dann aber einfach eine andere Form von Freundschaft oder Beziehungsintensität entwickeln können. In Bezug auf Freund*innenschaften gebe es eben viele Möglichkeiten – ein großer Vorteil. "Das ist das Schöne an Freundschaften. Sie sind nicht so stark normiert und von der Vorstellung eingegrenzt wie Liebesbeziehungen. Wir können die viel freier gestalten", sagt Andrea Newerla.
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