Werden wir nach der Krise wieder da stehen, wo wir vorher waren, oder gar gestärkt aus ihr hervorgehen? Florian Roth beschäftigt sich mit Resilienzforschung. Er glaubt, dass uns in Deutschland die Erfahrung aus der Fluchtmigration im Jahr 2015/2016 bei der Bewältigung der Corona-Pandemie enorm geholfen hat.

Kann so eine Jahrhundertkrise wie die Corona-Pandemie eine Gesellschaft widerstandsfähiger machen? Eine Frage, mit der sich die Resilienzforschung beschäftigt. Florian Roth vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung nennt in diesem Zusammenhang zwei Perspektiven:

  • bounce back
  • bounce foreward

Während mit "bounce back" gemeint ist, dass wir irgendwann den Zustand vor der Krise erreichen werden, also in unser altes Leben zurückkehren, beschreibt "bounce foreward" einen Zustand, in dem wir einen Sprung nach vorne machen.

Krise als Chance für Digitalisierung

Florian Roth findet die "bounce foreward" Perspektive interessanter. Und er sieht auch Bereiche, wo sich abzeichnet, dass wir etwas aus der Krise lernen: Die Digitalisierung zum Beispiel.

Hier sei Deutschland ohnehin nicht Vorreiter gewesen. Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen – wie der Shutdown – hätten die Dringlichkeit offengelegt, in Digitalisierung zu investieren, meint er.

Florian Roth
© privat
"Wenn jetzt beim Thema Digitalisierung Reformen angeleiert werden, können wir nach der Krise besser dastehen als davor."

Zwar hat Deutschland aus Sicht von Florian Roth – wie alle anderen Länder auch – große Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Krise. Dennoch stünden wir im Vergleich recht gut da. Das habe auch mit der politischen Struktur zu tun, meint er.

"Wenn wir uns mit anderen Ländern vergleichen – gerade jenen, wo starke Männer klare Ansagen machen – verkaufen wir uns ziemlich gut in der Krise.
Florian Roth, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung

Resilienzforschung: Dezentrale Systeme kommen gut mit Krisen zurecht

Auch wenn vieles von außen betrachtet chaotisch wirke, wie die verschiedenen Auffassungen von Ministerpräsidentinnen und -präsidenten und der Kanzlerin, was Corona-Maßnahmen wie Sperrstunden und Kontaktbeschränkungen angeht, verkaufe sich Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern gut. "Das wissen wir auch aus der Resilienzforschung, dass solche dezentral organisierten Systeme durchaus stark sind, mit solchen komplizierten Situationen zurechtzukommen und danach wieder auf die Beine zu kommen."

Florian Roth attestiert Deutschland ein gutes Resilienz-Zeugnis. Nach zahlreichen Interviews mit Verwaltungsmenschen ist er überzeugt, dass Deutschland aus der Diskussion rund um die Fluchtbewegungen im Jahr 2015/2016 viel gelernt hat. "Da wurden viele Strukturen verschlankt und viel Flexibilität ergänzt." Diese Lektionen, die gelernt wurden, seien unglaublich hilfreich im Umgang mit der Coronakrise, meint er.

"Die Flüchtlingskrise, so dramatisch das klingen mag, hat uns in vielerlei Hinsicht geholfen."
Florian Roth, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung

Durch diese Erfahrungen hätte Deutschland viel gelernt und sich besser aufgestellt, so Florian Roth. Beispielsweise gebe es nun Strukturen, wie Ehrenamtliche sinnvoll und schnell eingesetzt werden können. Dadurch könnten wir in der aktuellen Coronakrise profitieren.

Shownotes
Resilienzforschung
Welche Lehren unsere Gesellschaft aus der Coronakrise zieht
vom 17. Oktober 2020
Moderator: 
Ralph Günther
Gesprächspartner: 
Florian Roth, Politikwissenschaftler und Projektleiter am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung