Rund um die Stadt Belgorod nahe der Ukraine haben russische Partisanen, die sich gegen den Kreml stellen, ihr eigenes Land angegriffen. Weitere Aktionen sind angekündigt. Wer die Kämpfer sind und welche Ziele sie verfolgen.

Die Gruppierungen nennen sich "Legion Freiheit Russlands" und "Russisches Freiwilligenkorps". Ihre Mitglieder wollen die Ukraine unterstützen und haben aus diesem Grund Anfang der Woche den russischen Grenzübergang in der Region Belgorod besetzt. In einer Pressekonferenz haben sie von weiteren Attacken gesprochen, die geplant seien.

Moskau: "Ukrainische Terroristen"

"Für Moskau ist die Sache ganz einfach", berichtet unsere Berichterstatterin für die Ukraine, Sabine Adler. Für den Kreml seien die Kämpfer schlicht ukrainische Terroristen. De facto sind es aber russische Staatsbürger, die aus unterschiedlichen Gründen an den Kämpfen teilnehmen, so die Deutschlandfunk-Osteuropa-Expertin. Es seien zum Teil Neonazis, zum Teil Anarchisten und zum Teil Liberale. Geeint würden sie durch die Absicht, etwas gegen Putins Herrschaft zu unternehmen.

"Das sind Neonazis, Anarchisten oder auch Liberale. Sie möchten Putin richtig blamieren. Und sie sagen: Belgorod war erst der Anfang. Sie wollen bis nach Moskau."
Sabine Adler, Deutschlandfunk-Osteuropa-Expertin

Mit dem Angriff auf Belgorod wollten die Männer Putin blamieren – mit Erfolg: Die russischen Streitkräfte wurden vorgeführt, es war wohl recht einfach möglich, über die Grenze in russisches Territorium einzudringen, Orte zu besetzen und zu beschießen. Und die Partisanen sagen, Belgorod sei erst der Anfang. Sie wollen bis nach Moskau.

Eher kleine kämpfende Verbände

Wie groß die Gruppierung ist, ist bisher nicht bekannt. Sie könne allerdings nicht sehr groß sein, schätzt Sabine Adler und tippt auf eher kleine Verbände, die sehr beweglich sind. Um hunderte oder gar tausende Personen gehe es in keinem Fall, eher um dutzende.

Die Angaben über Verletzte des Angriffs gehen – wie schon so oft in diesem Krieg – weit auseinander: Die Partisanenverbände sprechen von zehn Verwundeten und zwei Personen, die beim Angriff auf die Region Belgorod getötet worden seien. Die russische Seite spricht von 70 getöteten "Terroristen".

Das "Russische Freiwilligenkorps"

Gründer und Anführer des "Russischen Freiwilligenkorps" ist Denis Kapustin, Kampfname Nikitin. Er ist eine bekannte Figur in der rechstextremen Szene und Gründer der rechtsextremistischen Kampfsportmarke names "White Rex".

"Das 'Russische Freiwilligenkorps' ist mutmaßlich eine Ansammlung von Rechtsextremisten."
Sabine Adler, Deutschlandfunk-Osteuropa-Expertin

Der in Russland geborene Mann hat offenbar 20 Jahre lang in Deutschland gelebt und ist dort als Hooligan und Rechtsextremist auffällig geworden. Als seine Aufenthaltsgenehmigung ablief, kehrte er nach Russland zurück. Seit 2019 lebt er offenbar in der Ukraine.

Die "Legion Freiheit Russlands"

Die andere Gruppierung – die von Moskau ebenfalls als terroristisch eingestuft wird – nennt sich Legion Freiheit Russlands und wird angeführt vom ehemaligen liberalen Duma-Abgeordneten Ilja Ponomarjow. Dieser hatte 2014 in der Duma als einziger gegen die Annexion der Krim gestimmt und war danach in die Ukraine ausgewandert. Die gesamte politische Entwicklung in Russland erschien ihm als nicht mehr tragbar.

Wohl im Wissen der Ukraine

Man muss davon ausgehen, dass die Partisanengruppen im Wissen der ukrainischen Regierung gegen Russland kämpfen, sagt Sabine Adler. Sie wollen zum Sturz des Putin-Regimes beitragen.

Laut Einschätzung des Londoner Militärexperten Mark Galeotti, Leiter des Zentrums für Europäische Sicherheit am Institut für Internationale Beziehungen in Prag, agieren sie nicht unabhängig, sondern werden vom ukrainischen Militärgeheimdienst kontrolliert, vielleicht auch orchestriert.

Shownotes
Russen gegen Russland
Wie Anti-Putin-Russen für die Ukraine kämpfen
vom 25. Mai 2023
Moderation: 
Thilo Jahn
Gesprächspartnerin: 
Sabine Adler, Deutschlandfunk-Osteuropa-Expertin