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Lange wurden Frauen in medizinischen Studien nicht berücksichtigt. Dabei spielen Geschlechter-Unterschiede in der Medizin eine wichtige Rolle – biologisch und soziokulturell. Sabine Oertelt-Prigione setzt sich dafür ein, diese Unterschiede genauer zu erforschen und hat die deutschlandweit erste Professur für geschlechtersensible Medizin angetreten.

Sabine Oertelt-Prigione ist eigentlich Internistin. Als sie ihren Kolleginnen und Kollegen vor Jahren gesagt hat, dass sie jetzt "Sex and Gender Sensitive Medicine" macht - zu deutsch "geschlechtersensible Medizin", war das Missverständnis bei vielen groß: "Da haben die zu mir gesagt: Was? Bist du jetzt Chirurgin geworden? Machst du jetzt OPs?" Unter geschlechtersensibler Medizin konnten sich viele lange nichts vorstellen – die erste Assoziation war dann häufig, sagt Sabine Oertelt-Prigione, "dass ich jetzt nur noch Transpersonen operiere."

Mittlerweile ist ihr Forschungsfeld bekannter geworden, was aber nicht heißt, dass es für alle verständlich ist, sagt die Hochschullehrerin. Sie hat in diesem Jahr die erste Professur für geschlechtersensible Medizin in Deutschland an der Universität Bielefeld angetreten.

Geschlechtersensible Medizin – ein vergleichsweise neues Forschungsfeld

Bei der geschlechtersensiblen Medizin geht es darum, biologische ("Sex") und soziokulturelle ("Gender") Unterschiede bei Männern, Frauen und anderen Geschlechtern zu erforschen. Lange gibt es den Forschungsbereich aber noch nicht. Erst Mitte der 1980er, als Medizinerinnen und Medizinern in den USA auffiel, dass Frauen und Männer häufig unterschiedliche Symptome bei einem Herzinfarkt aufweisen, gab es ein Bewusstsein für die Wichtigkeit des Themas. Bis heute werden Herzinfarkte bei Frauen häufig übersehen, weil sie nicht traditionellen Lehrbüchern entsprechen, die den Mann als Standard hatten.

"Es ist nur bedingt überraschend, dass die geschlechtersensible Medizin anfänglich vor allem von Frauen als Thema erkannt wurde."
Sabine Oertelt-Prigione, Ärztin, über geschlechtersensible Medizin

Auch die Corona-Pandemie hat die Bedeutung von geschlechtersensibler Medizin wieder mehr in den Fokus gerückt, weil schnell klar wurde, dass Männer und Frauen zum Teil sehr unterschiedlich auf eine Corona-Infektion reagieren. Trotzdem werden Geschlechterunterschiede in einem Großteil der klinischen Studien zu Corona nicht berücksichtigt, sagt Sabine Oertelt-Prigione, die zahlreiche Studien gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam analysiert hat.

"Das ist immer noch erschreckend wenig."
Sabine Oertelt-Prigione über die Berücksichtigung des Geschlechts bei klinischen Studien zu Corona

Wie wichtig geschlechtersensible Medizin für die individuelle medizinische Versorgung ist, ob Frauen in medizinischen Studien auch heute noch benachteiligt werden und an welchem Land sich Deutschland in dem Forschungsbereich ein Beispiel nehmen sollte, hört ihr in unserem Deep Talk mit Rahel Klein.

Wir freuen uns über eure Mails an mail@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Sabine Oertelt-Prigione
"Der Standard in der Medizin war häufig ein junger, fitter Mann"
vom 15. September 2021
Moderatorin: 
Rahel Klein
Gesprächspartnerin: 
Sabine Oertelt-Prigione, Ärztin und Hochschullehrerin