Zeit ist ein wichtiger Faktor, um die Pandemie zu bekämpfen. Studien zu Sars-CoV-2 werden deshalb schneller veröffentlicht als andere. Manche waren tatsächlich eine "Schnellschuss" und mussten später zurückgezogen werden. Die meisten erfüllen aber alle wissenschaftlichen Standards und sind qualitativ gut, sagt Wissenschaftsjournalistin Sophie Stigler.
Rund eine halbe Million Studien wurden zu Sars-CoV-2 inzwischen schon veröffentlicht. Die Masse der Veröffentlichungen hängt damit zusammen, dass die Forschung unter einem gewissen Druck steht. Je besser das Virus und die damit verbundene Erkrankung Covid-19 erforscht sind und je schneller Wirkstoffe dagegen entwickelt werden, desto weniger Menschen erkranken schwer oder sterben an einer Corona-Infektion.
Veröffentlichung in Fachzeitschrift
Eine Studie legitimiert sich in der Regel dadurch, dass sie in einer renommierten Fachzeitschrift veröffentlicht wird. Hier gibt es viele Prüfinstanzen und strenge Kriterien. Viele Gutachter und Gutachterinnen lesen die Studie, im Wissenschaftsbetrieb wird das peer review genannt. Sie überprüfen die Vorgehensweise, die Umsetzung und die Ergebnisse.
Wenn etwas nicht schlüssig ist, kann es sein, dass die Studienautorinnen und -autoren dazu aufgefordert werden, neue Experimente durchzuführen. Und selbst dann kann es sein, dass die jeweilige Fachzeitschrift es ablehnt, die Untersuchung zu veröffentlichen. Im biomedizinischen Bereich kann es vier bis sechs Monate dauern, bevor die Forschenden eine Zu- oder Absage erhalten.
"Bei Forschenden steht immer auch der eigene Ruf auf dem Spiel – insbesondere bei Leuten, die auf dem Gebiet der Virologie oder Epidemiologie arbeiten, also in ihrem Fach publizieren."
Auch bei einer Zusage geht die Prüfung weiter. Der Artikel wird hin- und hergeschickt, Korrektur gelesen und angepasst. So lange bis die Gutachterinnen und Gutachter zufrieden sind. Auch diese Prüfungsphase kann mehrere Monate lang dauern. Letztendlich wird ein Veröffentlichungsdatum festgelegt und der Artikel erscheint dann, sagt Wissenschaftsjournalistin Sophie Stigler.
Turbo-Veröffentlichung für die Pandemiebekämpfung
Inzwischen haben die Fachmagazine ihre Prozesse stark beschleunigt. Diese Entscheidung hängt damit zusammen, Studienergebnisse während einer Pandemie schneller verfügbar zu machen. Beispielsweise wurden die Fristen für Änderungen verkürtzt – das bedeutet, Gutachterinnen und Gutachter haben weniger Zeit für Korrekturen und auch Autorinnen und Autoren müssen korrigierte Versionen schneller einreichen.
"Insgesamt sieht man bisher nicht, dass deutlich mehr Studien zu Sars-CoV-2, die in Fachmagazinen veröffentlicht wurden, zurückgezogen werden müssen, weil sich herausstellt: Die sind falsch."
Es sind auch Fälle bekannt, in denen Forschende als Covid-19-Reviewer angefragt wurden, die von sich selbst sagen, dass sie sich nicht ausreichend mit dem Bereich auskennen würden, berichtet Sophie Stigler. Auch wenn man vermuten könnte, dass der Review-Prozess unter diesem Zeitdruck leiden könnte, lässt sich das bisher nicht mit Zahlen belegen, sagt die Wissenschaftsjournalistin.
Zwei beachtete Studien sind bekannt, die bisher zurückgezogen wurden, eine Studie, die nachgewiesen haben wollte, dass sich beim Tragen einer Maske CO2 vor dem Mund von Kindern anstauen würde, und eine Untersuchung, die empfohlen hat, dass Corona-Abstriche am besten anal durchgeführt werden sollten.
Mehr ungeprüfte Preprint-Veröffentlichung
Wer eine Studie durchgeführt hat und die Ergebnisse veröffentlichen möchte, kann diese auch als Preprint in Eigenregie tun. Dafür gibt es spezielle Preprint-Plattformen wie Bioarxiv oder Medarxiv.
Das war auch schon vor der Pandemie möglich, werde jetzt aber exzessiv genutzt, sagt Sophie Stigler, weil auch manche Fachmagazine eine Preprint-Veröffentlichung verlangen, um einen Artikel überhaupt für die Veröffentlichung zu erwägen. Auch Preprints werden von Experten gelesen und kommentiert.
"Die Sorge ist, dass viel Studienmüll von Medien aufgegriffen wird, weil nicht alle Journalistinnen und Journalisten so gut im Thema sind, dass sie ohne Peer Review einschätzen können: Ist die Studie gut gemacht oder nicht?"
Auch Journalistinnen und Journalisten informieren sich auf diesen Plattformen. Das ist zum Teil problematisch, sagt Sophie Stigler, weil ihnen in manchen Fällen das notwendige Fachwissen fehlt, um einschätzen zu können, wie valide, also gültig und zuverlässig, die präsentierten Ergebnisse sind.
Es gab bereits den Fall, dass Medien über eine Preprint-Studie berichtete hatten, die später zurückgezogen werden musste. Denn das Ergebnisse, dass das Coronavirus und HIV sich sehr ähneln würden, wurde widerlegt.
Einfach nicht über Preprints zu berichten, hält die Wissenschaftsjournalistin nicht für realistisch und empfehlenswert, weil manche dieser Studien wichtige Erkenntnisse über Sars-CoV-2 enthalten. Warte man erst ab, bis diese Artikel in Fachmagazinen erscheinen, vergehe zu viel wertvolle Zeit im Kampf gegen die Pandemie.
Hinweis: Dieses Stück entstand vor der Veröffentlichung der Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz vom 10.08.2021.