Mit dem neuartigen Coronavirus füllt sich das Netz mit Verschwörungstheorien. Eine davon: Das Virus wurde bewusst in einem Biowaffen-Labor entwickelt. Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Grit Kienzlen erklärt, warum diese Theorie nicht realistisch ist.

"Die Chinesen haben das Virus mit Absicht freigesetzt!", "Vielleicht steckt eine jüdische Weltverschwörung dahinter!", "Oder waren es doch die Amerikaner?"

Die Theorie, dass das neuartige Coronavirus aus einem Biowaffenlabor stammt, hält sich hartnäckig im Netz. Sie scheint für viele plausibel zu sein – vielleicht auch, weil in der Geschichte tatsächlich immer wieder Biowaffen entwickelt und eingesetzt wurden.

Ein neuartiges Virus wurde dafür aber noch nie verwendet. Das macht auch wenig Sinn, sagt Grit Kienzlen, wenn man sich den Vorgang im Labor einmal ganz praktisch vor Augen führt.

Biowaffen in der Geschichte

In der Geschichte wurden Biowaffen häufig dann eingesetzt, wenn die eigene Bevölkerung entweder schon immun dagegen war oder isoliert davon war. So wurden zum Beispiel die indigenen Stämme Amerikas durch europäische Erreger teilweise absichtlich infiziert, indem ihnen Decken voll mit Pesterregern "geschenkt" wurden. Oder: Japan soll beispielsweise im zweiten Weltkrieg mit Pest infizierte Flöhe über China abgeworfen haben.

Die globalisierte Welt macht es schwer für Biowaffen

Das ging natürlich nur, weil die Japaner durch ihre Insellage damit rechnen konnten, nicht selbst infiziert zu werden. In der heutigen globalen Welt sei so etwas nicht mehr möglich, da der Hersteller der Biowaffe immer damit rechnen müsse, sein eigenes Lager dadurch mitanzustecken.

"Biowaffen wurden in der Geschichte immer wieder entwickelt und gelegentlich auch eingesetzt, aber je globaler und vernetzter unsere Welt ist, desto weniger Sinn machen sie selbst für den, der Böses im Schilde führt."
Grit Kienzlen, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin

Aber nun einmal ganz konkret: Stellen wir uns vor, ein "Bösewicht" steht in seinem Labor und möchte einen gefährlichen, hoch ansteckenden Erreger erfinden. Er wird schnell feststellen, dass das gar nicht so einfach ist, schlussfolgert Grit Kienzlen.

Erreger entstehen aus Versuch und Irrtum

Bisher gibt es nämlich keinen bekannten Fall, in dem sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen neuen, gefährlichen Erreger komplett eigenständig und ohne jedes Vorbild aus der Natur selbst zusammengebaut haben. Denn normalerweise entstehen solche Erreger aus einem "evolutionären Prozess aus Versuch und Irrtum", erklärt Grit Kienzlen. Es verbreiten sich eben immer die Bakterien, Viren oder Parasiten, die sich erfolgreich vermehren können.

"Sowas im Labor zu erfinden, ohne jede Vorlage oder ein Beispiel in der Natur, das kann man versuchen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass dabei wirklich was Infektiöses und Krankmachendes herauskommt, ist extrem klein."
Grit Kienzlen, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin

Selbst wenn der Erfinder versuchen würde aus einem bereits bestehenden Virus ein Neues zu basteln, stellt sich immer noch die Frage der Wirksamkeit. Die müsste dann an Menschen getestet werden, denn Mäuse- und Rattenversuche eigenen sich für einen solchen Test nicht: "Was Mäuse oder Ratten tötet, schadet Menschen noch lange nicht", sagt Grit Kienzlen. Durch reine Tierversuche ist es also nicht möglich, herauszufinden, ob das Virus einem Menschen schaden kann.

"Wenn ich wissen will, wie gefährlich und wie ansteckend ein neuer Erreger für Menschen ist, dann muss ich ihn auch an Menschen testen."
Grit Kienzlen, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin

Es stellt sich also die nächste Frage: Wie bringe ich die "Testperson" zu meinem Virus und wieder raus aus dem Labor, ohne dabei alle Wissenschaftlerinnen oder anderen Mitarbeiter des Labors ebenfalls anzustecken? Denn erstens unterscheidet ein Virus nicht zwischen Freund und Feind und zweitens stellt sich erst nach einigen Tests heraus, wie gefährlich oder ansteckend ein neuartiger Erreger wirklich ist. Da kann es für das "böse Team" vielleicht schon zu spät sein.

"Niemand kann bei einem solchen neuartigen Erreger wissen, wie gefährlich und wie ansteckend er ist oder wie er sich genau verbreitet."
Grit Kienzlen, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin

Auch bei einem natürlich entstandenen Erreger lernen wir erst nach und nach wie gefährlich und ansteckend er ist, sagt Grit Kienzlin. Das kann man bei dem neuartigen Coronavirus gut beobachten. Diese Gemeinsamkeit zu angeblichen "Super-Biowaffen" aus dem Labor reicht aber noch lange nicht aus, um diese Verschwörungstheorie auch für Sars-CoV-2 aufrechtzuerhalten.

Shownotes
Verschwörungstheorien
Neues Coronavirus: Biowaffen-Theorie ist nicht realistisch
vom 17. März 2020
Moderatorin: 
Steffi Orbach
Gesprächspartnerin: 
Grit Kienzlen, Deutschlandfunk Nova