Die Deutschen arbeiten nicht (effizient) genug, sagt unter anderem Bundeskanzler Merz. Bei den Arbeitsstunden landet Deutschland im Vergleich mit 37 Wirtschaftsnationen auf dem drittletzten Platz. Aber mehr Arbeitszeit allein hilft nicht, zeigen Studien: Die Konzentration sinkt, das Unfallrisiko steigt.
"Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten. Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand unseres Landes nicht erhalten können."
Friedrich Merz' These kann man so interpretieren, dass er meint, dass viele Deutsche nicht gerade die Fleißigsten sind. Damit emotionalisiert er, sagt Justus Wolters von Deutschlandfunk Nova.
Die Aussage des Kanzlers ruft auf der Straße sehr gemischte Reaktionen hervor. Viele Menschen, die wir interviewt haben, fühlen sich falsch bewertet, andere empfinden die Botschaft als eine Problemverschiebung, wieder andere sehen schon so ein bisschen die Notwendigkeit an sich:
- "Ich selber arbeite im Gesundheitswesen und es wird einfach vorausgesetzt in dem Bereich, dass man 50 oder 60 Stunden die Woche arbeitet und zum Teil auch unbezahlte Überstunden macht. Deswegen kann ich die Studie nicht nachvollziehen."
- "Aus individueller Sicht denke ich nicht, dass es gesund wäre, wenn Menschen mehr arbeiten. Ich sehe aber schon, wenn es dem Wohlstand des Landes schlecht geht, dass es es auch den Menschen (…) nicht gut geht."
- "Das ist nicht die Ursache des Problems, sondern die liegt eher an dem Fachkräftemangel. Deshalb bringt es nicht viel, wenn man jetzt einfach mehr arbeitet, sondern wir brauchen die qualifizierten Arbeitskräfte."
Arbeitsstunden: Deutschland auf dem drittletzten Platz
Die Ergebnisse einer aktuellen Berechnung des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) spielen den Befürworter*innen von Mehrarbeit allerdings in die Karten: Sie sieht Deutschland mit Blick auf die Arbeitsstunden (2023 im Durchschnitt jeweils 1036) im Vergleich mit 37 Wirtschaftsnationen auf dem drittletzten Platz. Nur Frankreich und Belgien landen noch dahinter.
Die Menschen in Griechenland arbeiten demnach 135 Stunden im Jahr mehr als die Menschen in Deutschland. Als "faul" sollte man die Deutschen deshalb trotzdem nicht bezeichnen, so der Mitautor der Studie, Holger Schäfer vom IW, gegenüber dem BR. Das Problem sei eher, dass das Potential der Arbeitskräfte nicht gut genug ausgeschöpft werde.
"Das ist ein Resultat von Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt. (…) In Deutschland schöpfen wir das Arbeitskräfte-Potential weniger gut aus als in anderen Ländern. (…) Das hat mit Faulheit relativ wenig zu tun."
Die Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt seien nicht gut genug: So werde etwa die Kinderbetreuung häufig nur unzureichend vom Staat unterstützt – vor allem viele Frauen arbeiten nach wie vor nur in Teilzeit – oder die Abgaben, die Arbeitnehmer*innen leisten müssen, seien zu hoch.
Arbeitszeitexpertin: Kanzlerforderung ist "ein bisschen Blödsinn"
Mehr arbeiten, um die deutsche Wirtschaft zu retten – dieser Rückschluss greift zu kurz, sagen viele Kritiker*innen. Studien zeigen, dass mehr Arbeitszeit nicht immer auch sofort mehr Produktivität bedeutet, erklärt Deutschlandfunk-Nova-Reporter Justus Wolters. Und ganz im Gegensatz zum Zitat des Bundeskanzlers kann demnach eine gute Work-Life-Balance die Produktivität sogar steigern.
"Wir wissen aus der Forschung: Sechs Stunden kann ich mich gut konzentrieren, vielleicht noch acht. Danach nimmt die Konzentrationsfähigkeit ab, das Unfallrisiko steigt, und ich arbeite überhaupt nicht produktiver."
Die Forderung von Friedrich Merz, wir müssten alle noch länger arbeiten, damit wir die Produktivität ankurbeln, hält Yvonne Lott für "mit Verlaub – ein bisschen Blödsinn". Nach sechs bis acht Stunden Arbeit nimmt die Konzentrationsfähigkeit nämlich ab und das Unfallrisiko steigt, so die Arbeitszeitexpertin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Was bringt eine Vier-Tage-Woche?
Nicht wenige Politiker*innen und auch Unternehmensverbände sehen das anders. Sie sagen, dass eine flexiblere Wirtschaft flexiblere Arbeitnehmer*innen braucht, die im Zweifel auch länger arbeiten, wenn es nötig ist.
Auch das Modell der Vier-Tage-Woche lehnen sie tendenziell ab: Kritiker*innen bemängeln, das Konzept sei nicht auf alle Branchen anwendbar und die Produktivität werde auf lange Sicht sinken.
Pilotstudien aus Deutschland, USA und Großbritannien zeigen aber, dass es bei den Unternehmen, die die Vier-Tage-Woche ausprobiert haben, keine negativen Effekte auf die Produktivität zu beobachten gab. Was allerdings sehr wohl festgestellt wurde: Die Zufriedenheit der Arbeitnehmenden stieg.