Ist Trotz der Grund, warum sich weiterhin Menschen nicht gegen Corona impfen lassen, obwohl sie es könnten? Das zumindest legt eine Umfrage nahe. Wie Trotz entsteht, erklärt Wirtschaftspsychologin Laura Nachreiner. Und auch, wie man aus dem Trotz wieder rausfindet.

Mittlerweile sind knapp 65 Prozent aller Menschen in Deutschland vollständig gegen eine Corona-Infektion geimpft. Doch um alle, die sich (bislang) nicht impfen lassen können, vor einer Infektion zu schützen, braucht es mehr Geimpfte.

Deshalb nimmt der Druck auf Nicht-Geimpfte zu. Ab nächster Woche müssen sie Corona-Schnelltests aus eigener Tasche bezahlen. Gratis bleiben die Tests für Menschen, die sich nicht impfen lassen können. Auf alle anderen könnte der Druck sogar noch wachsen.

Der Trotz gegen die Impfung könnte wachsen

Doch die Frage ist, was mehr Druck bewirkt. Eine repräsentative Umfrage des European Covid Survey zeigt, dass sich viele dann erst recht nicht impfen lassen wollen. Aus Trotz sozusagen.

Trotz ist eine Mischung aus Ärger und Trauer, sagt die Wirtschaftspsychologin Laura Nachreiner. Bei dieser Mischung aus den beiden Emotionen überwiegt der Ärger. Anders als beim beleidigt sein, wo die Trauer stärker ist. Das Gefühl Trauer wiederum entstehe, wenn Menschen etwas wichtiges verloren geht. Das kann der Verlust eines Menschen sein. Aber auch das Gefühl, die Kontrolle verloren zu haben. Ein Gefühl, das in der Corona-Pandemie viele hatten.

Emotionen stehen für Bedürfnisse

Gefühle wie Ärger oder auch Trauer drücken Bedürfnisse aus, so Laura Nachreiner. So wie alle Emotionen für ein Bedürfnis stehen, unterstreicht die Wirtschaftspsychologin. Trauer zum Beispiel sei eine Art Hilferuf. Ärger wiederum entwickeln wir, wenn wir ein Hindernis überwinden wollen.

"Jede Emotion ist total wichtig. Jede Emotion hat die Kompetenz, ein für uns wichtiges Bedürfnis zu erfüllen."
Wirtschaftspsychologin Laura Nachreiner

Zugleich sind Emotionen funktional, aber sie können auch dysfunktional sein, ergänzt Laura Nachreiner. Beim Ärger zum Beispiel ist es wichtig, ins Handeln zu kommen, um den Grund für den Ärger aufzulösen. "Dann ist Ärger funktional", sagt Laura Nachreiner. "Wenn ich mich aber den ganzen Tag ärgere, komme aber nicht dazu, dass der Ärger weggeht, dann ist der Ärger dysfunktional." Das kann sich auch auf die Gesundheit auswirken. "Studien zeigen, dass fünf Minuten dysfunktionaler Ärger das Immunsystem bis zu sechs Stunden schwächen."

"Jede Emotion kann funktional oder dysfunktional sein."
Wirtschaftspsychologin Laura Nachreiner

Deshalb empfiehlt die Wirtschaftspsychologin die Emotion Ärger zu hinterfragen. Was löst den Ärger aus? Welches Bedürfnis wird nicht erfüllt? Im nächsten Schritt geht es dann darum, dafür zu sorgen, dieses Bedürfnis zu erfüllen und den Ärger aufzulösen. Ebenso ist es auch bei Trauer wichtig, das Gefühl auszuloten. Die Frage ist dann: Was fehlt mir eigentlich gerade?

Gefühle benennen und dadurch regulieren

Insgesamt sei es wichtig, sich über die eigenen Emotionen bewusst zu werden und sie klar zu benennen. "Allein das Bewusstsein darüber führt im Gehirn dazu, dass die Emotion runterreguliert werden kann", sagt Laura Nachreiner.

Bezogen auf die Impfkampagne bedeutet das aber auch, dass mehr Druck aufzubauen, vermutlich nicht hilft. Im Gegenteil: Manche werden noch trotziger werden. Deshalb hält Laura Nachreiner es zum Beispiel für wichtig, mehr Aufklärung anzubieten. Bei manchen Menschen könnte es sein, dass sie das Gefühl von Sicherheit verloren haben und durch mehr und gezielte Informationen diese Emotion wieder erlangen können.

Das Gefühl von Trotz ist übrigens bei Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen gleich. Kinder erleben diese und andere Emotionen aber intensiver, denn sie erleben die Gefühlspalette eben zum ersten Mal. "Deshalb ist auch der erste Liebeskummer total schlimm", sagt Laura Nachreiner. "Weil wir dann die Emotion Liebe beziehungsweise den Kummer zum ersten Mal so intensiv erleben."

Shownotes
Emotionen
Nicht-Impfen aus Trotz: Was hinter diesem Gefühl steckt
vom 05. Oktober 2021
Moderator: 
Till Haase
Gesprächspartnerin: 
Laura Nachreiner, Wirtschaftspsychologin