Bund, Länder und Kommunen machen so viele Schulden wie nie. Ein Wirtschaftswissenschaftler sagt: Das ist erst mal kein Problem – so lange das Geld klug in die Zukunft investiert wird.

Deutschlands Schulden sind auf Rekordniveau, auch wegen Corona. Unter anderem Bund, Länder und Gemeinden haben Schulden in Höhe von mehr als 2.000 Milliarden Euro, also mehr als zwei Billionen. Pro Kopf entspricht das einer Verschuldung von rund 26.000 Euro. Zum Vergleich: Zum Jahresende 2019 lag die Schuldensumme pro Kopf bei rund 23.000 Euro.

Wer soll die Zinsen dafür bezahlen? Und wer soll diese hohe Schuldensumme jemals zurückbezahlen?

"Der Staat kann sich praktisch Geld umsonst leihen, deswegen ist hier keine Panik geboten."
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, ist bei dem Thema eher entspannt. Er sagt: Es gibt einen großen Unterschied zwischen einer Staatsverschuldung und einem privaten Kredit.

Bei einer Staatsverschuldung sei die eigentliche Schuldenhöhe nämlich gar nicht so wichtig. "Viel relevanter ist es, was der Staat an Zinsen zahlen muss." Und die sind aus seiner Sicht "extrem gering".

Mit rund zehn Milliarden Euro zahlt Deutschland nur 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung jedes Jahr an Zinsen. Das liegt auch daran, dass die Zinsen zurzeit so niedrig sind und der Staat teilweise sogar Geld einnimmt, wenn er sich Geld leiht, weil die Zinsen teilweise im Negativbereich liegen. Marcel Fratzscher: "Der Staat kann sich zurzeit praktisch Geld umsonst leihen."

Priorität für zukünftige Generationen: Intakte Umwelt, sozialer Frieden

Wenn die größten finanziellen Belastungen durch die Corona-Pandemie vorüber sind und die Steuereinnahmen in Deutschland weiterhin hoch sind – könnte also demnächst damit begonnen werden, Schulden auch wieder zurückzuzahlen?

Marcel Fratzscher sieht das weder als möglich noch als nötig an. Die wichtigsten Fragen der Zukunft sind aus seiner Sicht nicht, ob womöglich die Steuern etwas höher sind, um Schuldzinsen zu zahlen, sondern eher, ob die Umwelt intakt ist, ob der Klimawandel in Grenzen gehalten werden kann und es einen sozialen Frieden auf der Welt gibt.

"Die Bundesregierung muss in den kommenden Jahren deutlich mehr Geld in die Hand nehmen."
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin

Für all das muss der Staat in Zukunft mehr Geld ausgeben, sagt der Ökonom. Er sollte in Klimaschutz, eine gute Infrastruktur, eine Verkehrswende, ein gutes Bildungssystem und die Digitalisierung investieren. Das kostet aber Geld. "Zu glauben, der Staat könnte jetzt Schulden senken, halte ich nicht nur für eine Illusion, sondern auch für gefährlich."

Ein gut aufgestelltes Land ist aus Fratzschers Sicht zudem der beste Weg, langfristig Schulden abzubauen. Denn viele und gut bezahlte Jobs und eine gute Wirtschaft würden zu hohen Steuern führen. "Jeder Euro, der heute klug in die Zukunft investiert ist, führt zu deutlich mehr als einem Euro Steuereinnahmen. Das ist der einzig kluge Weg für den Staat, wieder Schulden abzubauen."

Shownotes
Rekordschulden
"Jetzt Staatsschulden abbauen zu wollen, ist gefährlich"
vom 24. August 2021
Moderatorin: 
Jenni Gärtner
Gesprächspartner: 
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin