Kurz zum Hörer greifen, um den alten Schulfreund anzuklingeln, und danach ab ins Skypegespräch mit Oma und Opa. Während der Corona-Pandemie telefonieren wir wieder. Aber warum eigentlich?
Kein wöchentlicher Sporttreff, keine Vereinssitzung, kein Kaffeekränzchen: Für viele von uns hat die Corona-Pandemie eine Zeit der Einsamkeit eingeläutet. Gerade Singles und Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen geht es in den eigenen vier Wänden nicht immer gut. Wer ohne WG-Mitbewohnerin oder Partner lebt, kann sich jetzt alleingelassen fühlen.
In Zeiten der Kontaktsperren verbinden wir uns von zu Hause mit der Außenwelt. Die neue Nähe stellt sich per Skype, Zoom und sogar mit dem guten alten Festnetztelefon ein - wenn es klappt.
Nähe und Austausch trotz Social Distancing
Fabio Porta ist Redakteur aus München und auf Jobsuche. Aktuell hat der 32-Jährige das Schreiben von Bewerbungen aber auf Eis gelegt. Während Corona möchte er lieber einen sozialen Beitrag leisten. Doch nur für Risikogruppen kleinere Einkäufe zu erledigen, reicht Fabio nicht. Während der Kontaktsperre sind ihm überlastete Telefon-Anlaufstellen in Deutschland aufgefallen. Deshalb hat Fabio ein Hilfsprojekt ins Netz gestellt. Es verbindet Menschen, die telefonieren wollen, aber gerade allein sind.
Das Projekt folgt dem Gedanken, dass sich Menschen in der Ausnahmesituation gerne miteinander austauschen. Gleichzeitig sei auch jede oder jeder in der Lage, andere Menschen in dieser Situation zu unterstützen. Über ein Formular auf der Webseite wirverbindeneuch.de werden Kontaktdaten und gewünschten Gesprächszeiten erfasst. Ist ein passender Gesprächspartner zur gewünschten Zeit gefunden, stellt Fabio den Kontakt zwischen beiden her: "Und dann kann es schon losgehen."
Auch Fabio selbst telefoniert manchmal mit. Einmal hatte er jemanden aus Münster am Hörer, der gerade in die Kurzarbeit gerutscht ist. Um Corona ging es im Gespräch aber kaum.
"Wir haben größtenteils über andere Sachen geredet. Zum Beispiel, wie man die Zeit nutzen kann, um Sachen zu tun, die einem guttun."
Fabio kriegt für die Seite viel positives Feedback, sagt er. Viele Leute fühlen sich nach den Gesprächen ein bisschen gestärkt. Fabio denkt sogar darüber nach, die Seite in Zukunft zu automatisieren.
"Mich beeindruckt, wie viele Menschen dazu bereit sind, sich zu öffnen und mit fremden Leuten über ihre Probleme zu reden."
Die Angst vor dem endlosen Telefonat schwindet
Doch das Telefonieren verändert sich in der Krise auch inhaltlich. Weil alle gerade in der Luft hängen, fällt es uns leichter, über Banales zu reden. So geht es auch der Journalistin und Autorin Carolin Würfel aus Berlin. Während das Klingeln des Telefons ihr noch vor Kurzem den letzten Nerv raubte, schätzt sie lange Telefonate jetzt. Vor Corona fühlte sie sich überfordert von der ständigen Kommunikation: Social-Media, Mails und dann noch Kollegengespräche beim Mittagessen. Da schien jeder Anruf zu viel.
"Wenn mich dann noch jemand während meines überkommunikativen Alltags angerufen hat, hatte ich dafür keinen Platz mehr."
Immerhin wusste man ja auch damals nie genau, in welche Richtung das Gespräch verläuft und wie viel Zeit dafür draufgeht. So stimmte Carolin ihre Telefonate meist genau mit U-Bahnfahrten oder anderen alltäglichen Handlungen ab, um notfalls schnell Tschüss sagen zu können. Seit Corona ist das anders. Carolin flüchtet nicht mehr vor dem Telefonieren, sondern genießt es.
"Das Telefonieren hat wieder den Wert aus den Teenager-Jahren bekommen. Dieses ungenierte und unkontrollierte Plaudern."
Reden kann man über Banales, das einen im Moment umtreibt. Wie etwa Kochrezepte oder Duschgel. Das macht Carolin auch mit ihrer Mutter. Mit ihr telefoniert sie jetzt häufiger als vor der Krise.
Wegen der Emotionen greifen wir zum Hörer
Paarberater Eric Hegmann glaubt, dass die Menschen wieder mehr miteinander telefonieren, weil es darum geht, eine Verbindung herzustellen. Das funktioniere per Telefon besser als mit Kurznachrichten.
"Texten ist schön, aber es bleiben so viele Fragen offen. Es hilft nicht gegen Einsamkeit, genauso wie Small Talk keine Verbindung schafft"
Stattdessen sprechen wir am Telefon mit unseren Dates und Partnern darüber, was uns bewegt. Die Frage "Wie war dein Tag", führt da vielleicht nicht immer weiter. Besser wäre es zu fragen: "Was hat dich heute am meisten bewegt?"
"Wir wollen nicht wissen, was er getan hat, sondern was er dabei empfunden hat."
Wenn man in Corona-Zeiten jemanden datet, sollte man es mit dem Videotelefonat nicht überstürzen. Jemanden per Video in die eigene Wohnung zu lassen, das sei schon ziemlich intim.
Allein der Ausdruck der Stimme hat einen großen Einfluss auf das Bild im Kopf, das wir von jemanden bekommen. Deshalb empfiehlt Eric, beim Dating frühzeitig zu telefonieren und nicht zu lange zu schreiben.
Eric beobachtet außerdem, wie Fernbeziehungspaare die Gespräche über die Distanz gestalten. Indem sie zum Beispiel synchron Serien streamen. Auch so könne man sich manchmal über Gefühle, Sorgen und Ängste austauschen.
Warum hat das klassische Telefonieren vor Corona an Bedeutung verloren?
Vor Corona hatte das Telefonieren primär bei den Menschen unter Dreißig an Bedeutung verloren. Das hat unterschiedliche Gründe: Im Gegensatz zum Chatten kann man beim Telefonieren falsch Gesagtes nicht einfach löschen. Außerdem sind wir am Telefonhörer ausschließlich auf unsere Stimme reduziert. Im echten Leben wird unsere Kommunikation hingegen auch durch Gestik und Mimik getragen. Weil wir unser Gegenüber aber nicht sehen, können wir oft nur schwer einschätzen, in welche Richtung das Telefonat verläuft. Das stresst uns. Hinzu kommen Pausen, wenn der andere zum Beispiel gerade nachdenkt, oder man nicht weiß, wie man das Gespräch beenden soll.
Laut Medientheoretiker Marshall McLuhan zählt das Telefon übrigens zu den sogenannten "kühlen Medien". Das bedeutet, dass eine starke Mitarbeit von uns verlangt wird, um die Worte unseres Gesprächspartners zu entschlüsseln, und darauf zu reagieren.
Fakten über das Telefon
- "Die Sonne ist von Kupfer" und "Das Pferd frisst keinen Gurkensalat" sind die ersten Satzfetzen, die 1861 in ein Telefon gesprochen wurden.
- "Tele" ist griechisch und bedeutet "fern" und "phone" heißt übersetzt so viel wie "Stimme" oder "Laut".
- Im Jahr 2018 betrug die Anzahl der Festnetzanschlüsse in Deutschland 38,22 Millionen. Im Jahr 2000 waren es noch 39,7.
- Eine Umfrage hat 2019 ergeben, dass nur noch jeder Zehnte sein Smartphone überwiegend zum Telefonieren nutzt. Während der Isolation könnte sich dieser Wert nun wohl schnell wieder ändern.
- Das Telefon ist ein äußerst reizvolles Motiv in Kunst und Film. So etwa das skurrile "Hummertelefon" (1963) von Salvador Dalí oder der Thriller "Nicht Auflegen" (2002), in dem sich ein Geschäftsmann aus Angst vor einem Scharfschützen in einer Telefonzelle einschließt.
- In Deutschland wird das Sorgentelefon vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Es ist anonym, kostenfrei und unter 0800/111 0 111 rund um die Uhr erreichbar.
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