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Eingeschneit am Mount Everest – rund 1000 Menschen saßen tagelang fest, inzwischen sind alle gerettet. Der Blizzard traf viele unvorbereitet. Jetzt wächst die Kritik – mal wieder: Warum waren so viele gleichzeitig dort? Ist der Massentourismus außer Kontrolle?

Für viele war es ein Albtraum auf 5000 Metern: Ein plötzlicher Schneesturm hat Hunderte Wanderer und Tourist*innen am nördlichen Basecamp des Mount Everest in Tibet überrascht. Die Menschen waren auf einem der beliebtesten Trekkingpfade der Welt unterwegs – und hatten mit mildem Herbstwetter gerechnet.

"Selbst unsere Bergführer haben das alles unterschätzt. Wir waren für so was einfach nicht ausgerüstet. Zehn Stunden im Schnee laufen – dafür bist du nicht vorbereitet."
Geretteter chinesischer Wanderer (Interview mit Reuters)

Viele Tourist*innen waren mit leichter Kleidung und Sportschuhen unterwegs, manche nur für einen Tagesausflug. Dass auf dieser Höhe die Temperaturen schnell unter null fallen und Schnee meterhoch liegen kann, haben viele unterschätzt.

Bergsteigerin: "Man kann natürlich auch ersticken"

Die deutsche Bergsteigerin Julia Schulz kennt den Everest gut – sie stand selbst auf dem Gipfel. Für sie war der jüngste Vorfall vorhersehbar.

"Man kann natürlich auch ersticken, wenn in kurzer Zeit zu viel Schnee fällt, dass du mit dem Schaufeln nicht mehr hinterherkommst."
Julia Schulz, Bergsteigerin

Sie erklärt, dass viele Freizeitwandernde schlicht überfordert seien. Wer auf 5000 Metern eingeschneit werde, ohne Schlafsack oder warme Kleidung, bringe sich schnell in Lebensgefahr. Erfrierungen und Sauerstoffmangel könnten binnen Minuten eintreten. Julia glaubt, dass die meisten nicht leichtsinnig waren, sondern schlicht überrascht: Touranbieter informierten oft unzureichend, Packlisten seien lückenhaft, und viele Reisende hätten keine Vorstellung davon, wie schnell sich das Wetter dort ändern kann.

"Viele sind kopflos draußen unterwegs. Das normale Sport-Equipment reicht zu den Gegebenheiten eben nicht."
Julia Schulz, Bergsteigerin

Sie selbst erinnert sich an ihre Expedition von der tibetischen Nordseite: Dort sei es zwar ruhiger als auf der überlaufenen Südroute in Nepal, doch auch dort könne sich das Wetter innerhalb von Minuten komplett drehen.

Der Boom am höchsten Berg der Welt

Peter Hornung, ARD-Korrespondent im Studio Neu Delhi, beobachtet seit Jahren, wie der Everest zum Ziel von immer mehr Tourist*innen wird – nicht nur von erfahrenen Bergsteigern.

"Im Süden, also in Nepal, trifft man Bergsteiger*innen, die trainiert sind und wissen, was sie tun. Im Norden, auf der tibetischen Seite, sind es Wandertourist*innen – die zahlen 1500 Dollar, um den Berg mal aus der Nähe zu sehen."
Peter Hornung, ARD-Korrespondent Südasien

Der einfachere Zugang von der chinesischen Seite führe dazu, dass selbst Busladungen von Besucher*innen auf 5000 Meter Höhe gebracht werden. 2024 seien allein auf der Nordseite mehr als eine halbe Million Menschen gezählt worden – eine unvorstellbare Zahl in dieser extremen Umgebung.

Für Hornung ist das nicht nur ein logistisches, sondern auch ein moralisches Problem.

"Für die Sherpas ist der Everest ein heiliger Berg. Wenn man den nicht respektvoll behandelt, verletzt das auch ihre Religiosität."
Peter Hornung, ARD-Korrespondent Südasien

Viele Sherpas leben vom Tourismus – sie verdienen am Tragen, Führen und Retten. Gleichzeitig leiden sie unter den Folgen des Booms: Müll, Leichen und Rücksichtslosigkeit gehören zum Alltag. Wer in Nepal stirbt, bleibt oft oben – für die Angehörigen ein Tabu, für viele Sherpas ein Sakrileg.

Zwischen Faszination und Verantwortung

Nepals Regierung kündigt immer wieder an, die Aufstiegszahlen zu begrenzen oder Müllaktionen zu starten. Doch laut Hornung passiere wenig.

"Wenn man genau hinschaut, ist vieles für die Kameras. Die eigentlichen Probleme werden nicht angegangen, weil Nepal auf das Geld angewiesen ist."
Peter Hornung, ARD-Korrespondent Südasien

Auch Bergsteigerin Julia Schulz sieht den Konflikt. Sie versteht die Anziehungskraft des Bergs, die fast spirituell sei – "magisch" nennt sie sie. Doch die Bilder von überfüllten Routen und Warteschlangen am Gipfel dämpfen die Romantik.

Trotz allem bleibt der Everest ein Sehnsuchtsort. Aber einer, der mahnt: Wer sich ihm nähert, sollte wissen, worauf er sich einlässt – und was er der Natur und den Menschen dort zumutet.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

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  • Moderatorin: Ilka Knigge
  • Gesprächspartner: Peter Hornung, ARD-Studio Neu Delhi
  • Gesprächspartnerin: Julia Schultz, Bergsteigerin