Vor einem Jahr wurde in der Türkei Präsident Recep Tayip Erdogan gemäß des neuen Präsidialsystems vereidigt. Seitdem kann er weitreichende Entscheidungen treffen - was nicht allen gefällt.
Seit einem Jahr kann Recep Tayip Erdogan viele Entscheidungen in der Türkei alleine treffen. Denn seit einem Jahr gilt das Präsidialsystem - am 11. Juli 2018 wurde er vereidigt. Das hatte Erdogan selbst so gewollt - und die Türken haben mit knapper Mehrheit für das Präsidialsystem gestimmt.
Seither ist Erdogan nicht nur Staatspräsident, sondern auch Regierungschef, Parteichef und Oberbefehlshaber in einer Person.
Viele Türken sind unzufrieden
Ob die Türken heute - ein Jahr nach dem Systemwechsel - noch einmal so abstimmen würden, stellt Deutschlandfunk-Korrespondent Christian Buttkereit in Frage. Er sagt, viele seien unzufrieden: "Wenn man sich auf der Straße umhört, hört man auch viel Kritik. Viele finden es gar nicht gut, dass Erdogan jetzt so viele Entscheiderposten gleichzeitig besetzt."
"Viele Politiker sagen: 'Das Parlament hat eigentlich gar nichts zu sagen. Wir fühlen uns als Statisten'."
Sehr kritisch war es aus Sicht der Türken zuletzt im März, als Erdogan als Parteichef der AKP Wahlkampf machte. Da blieben Regierungsgeschäfte und Entscheidungen liegen. "Politiker beschreiben es so: Es gebe eine Art Flaschenhals, durch den alles durch muss", sagt Christian Buttkereit. Und dadurch, dass Erdogan viele Entscheidungen zu treffen hat, geht es manchmal nicht so schnell, wie es für die Republik gut wäre.
Macht ausgenutzt
Die Art, wie die Türkei derzeit geführt und gelenkt wird, führe bei vielen Politikern zu Frust, sagt Christian Buttkereit.
Bei seiner Vereidigung hatte Präsident Erdogan eigentlich auf Neutralität geschworen. Die könne er aber gar nicht einhalten, da er ja auch gleichzeitig Parteichef ist, sagt Christian Buttkereit.
"Viele finden es gar nicht gut, dass Erdogan jetzt so viele Entscheiderposten gleichzeitig besetzt."
Seine neue Macht hat Erdogan auch schon an diversen Stellen ausgenutzt, etwa bei Inhaftierungen und dem Verbot von Demonstrationen.
Jüngst hat Erdogan den Chef der Zentralbank entlassen, da ihm dessen Zinspolitik nicht gefiel. "Erdogan wollte immer, dass die Zinsen gesenkt werden, damit es Investitionen gibt. Die Zentralbank sagt aber, wir müssen die Zinsen auf dem Niveau halten, damit die Lira nicht völlig absackt", sagt Christian Buttkereit.
Wirtschaftliche und politische Stabilität bleiben aus
Viele Bürger, die damals für das Präsidialamt gestimmt hatten, hatten sich wirtschaftliche Stabilität erhofft. Mit seiner Macht über die Medien hatte Erdogan das auch auf breiter Ebene versprochen. Halten konnte er sein Versprechen nicht.
Wirtschaftlich geht es in der Türkei bergab. Die Inflation ist mit 15 Prozent relativ hoch. Und auch die Arbeitslosigkeit mache weiter vielen zu schaffen - vor allem den jungen Leuten.
Auch die erhoffte politische Stabilität ist nicht eingetreten - im Gegenteil. In der AKP rumort es, und es zeichnen sich Tendenzen ab, dass es Abspaltungen geben könnte. "Gestern hat ein bekannter Politiker die AKP verlassen und gesagt, dass er eine eigene Partei gründen will. Da gibt es wohl einige, die mitmachen wollen", sagt Christian Buttkereit.