Die Türkei nimmt Flüchtlinge zurück, dafür dürfen Türken ohne Visum in die EU. Das ist ein Teil des Deals zwischen der Türkei und der EU - und an dem Abkommen wollen beide unbedingt festhalten. Auch wenn die Türkei die Bedingungen für die Visafreiheit nicht so ganz erfüllt.
Heute (04. Mai) entscheidet die Europäische Kommission über die Visafreiheit in der EU für türkische Bürger. Die Regierung in Ankara hat seit Jahren die Visafreiheit gefordert, bislang erfolglos. Doch dann kam der Deal zwischen der Türkei und der EU, damit die Türkei Flüchtlinge zurücknimmt, die dann von den EU-Staaten aufgenommen werden sollen.
72 Bedingungen für die Visafreiheit
Für die Visafreiheit muss die Türkei 72 Kriterien erfüllen. Die türkische Regierung sagt, sie habe alle Bedingungen umgesetzt, sagt ARD-Korrespondent Thomas Bormann in Istanbul. In Teilen stimmt das. Zum Beispiel wird es künftig fälschungssichere Pässe geben. Zumindest die Voraussetzungen sind da, aber die Ausweise müssen noch hergestellt werden. Kommt die Visafreiheit, dann brauchen die türkischen Bürger also erst einmal die neuen Pässe. Auch beim Thema Meinungsfreiheit sagt die Regierung, dass alles gut sei. Doch daran lässt sich wohl zweifeln.
"Wir wissen alle, wer den Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan kritisiert, landet schnell vor Gericht."
Für die türkischen Bürger ist die Visafreiheit eine sehr wichtige Sache, sagt Bormann. "Viele Türken fühlen sich quasi als Menschen zweiter Klasse." So viele Europäer dürfen ohne Visum in die EU einreisen, aber die Türken eben nicht. Der Antrag auf ein Visum ist eine aufwendige Sache: Nachweis des Verdienstes, Bescheinigung über eine Krankenversicherung und anderes. Die Türken fühlen sich da oft erniedrigt, sagt Bormann.
Eine Befürchtung innerhalb der EU ist, dass türkische Kurden über die Visafreiheit in die EU einreisen könnten, um dann einen Asylantrag zu stellen. Wie viele Menschen das machen werden, ist spekulativ, sagt Bormann. Aber es stimmt, dass in vielen kurdischen Städten eine Art Krieg herrscht. Hier muss die EU mehr Druck auf Ankara ausüben, um den Konflikt zu lösen.
"Dass ausgerechnet Erdoğan, der die Freiheitsrechte einschränkt, sich vielleicht diesen Erfolg der Visafreiheit an die Weste heften kann, das ist der Schönheitsfehler."
Für Präsident Erdoğan wäre die Visafreiheit ein echter Triumph. Seit 36 Jahren gilt die Visapflicht und seit dieser Zeit will die Türkei die Abschaffung. Erdoğan kann sich also auf die Schulter klopfen, wenn die EU zustimmt. "Aber nur, um Erdoğan eins auszuwischen, und die Visafreiheit nicht zu geben, damit würde man 75 Millionen türkische Bürger bestrafen, und sie noch weiter von der EU entfernen", sagt Bormann.