Vor fast einer Woche ist die türkische Armee in Nordsyrien einmarschiert, um dort die kurdischen Milizen zu vertreiben. Trotz internationaler Proteste setzt Recep Tayyip Erdogan seine Militäroffensive fort. Hunderttausende sind auf der Flucht. Hinter dem Krieg stehen viele Akteure - ein Überblick.
Am vergangenen Mittwoch (9.10.2019) hat die Türkei ihre Militäroffensive gegen die Kurdenmiliz YPG begonnen, nachdem sich die US-Soldaten aus dem syrischen Grenzgebiet zurückgezogen haben.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, er wolle dort eine sogenannte "Schutzzone" einrichten. Dort sollen auch syrische Flüchtlinge untergebracht werden, die derzeit noch in der Türkei leben.
"Die Türkei versucht, das Grenzgebiet zu Syrien unter dauerhaften türkischen Einfluss zu stellen."
Die Türkei will ihre Machtstellung im Grenzgebiet sichern, erklärt Syrien-Expertin Kristin Helberg. Im Grunde fürchte Erdogan nämlich die kurdische Autonomie, die sich in den vergangenen Jahren im Nordosten Syriens etabliert hat.
Schon 2016 habe Erdogan nördlich von Aleppo gezeigt, dass er die Kontrolle über syrische Gebiete erlangen kann. 2018 hat die Türkei zudem Afrin besetzt, dort arabische Syrer angesiedelt - "und dafür die kurdische Bevölkerung vertrieben".
"Im Grund fürchtet Erdogan diese kurdische Autonomie, die sich in den vergangenen Jahren im Nordosten Syriens entwickelt hat."
Die Türkei sieht in der kurdischen YPG-Miliz einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. "Und die PKK sind für die Türkei Terroristen", sagt Kristin Helberg. Die USA hätten das Feld inzwischen anderen Akteuren überlassen.
Putin als Strippenzieher
Großer Gewinner der aktuellen Entwicklung könnte aus Sicht von Kristin Helberg Wladimir Putin sein: Denn er habe immer einen Abzug der Amerikaner gefordert, halte seit 2015 Baschar al-Assad an der Macht.
Nun könnte Putin großen Einfluss auf die Nachkriegsordnung in Syrien erhalten, wenn er es schaffe, einen Deal zwischen Erdogan und Assad auszuhandeln und Erdogan seine Ansprüche auf das Gebiet letztendlich Assad überlässt.
"Herr Putin sitzt im Hintergrund, zieht die Strippen - und erntet am Ende den großen Einfluss auf die Nachkriegsordnung in Syrien."
Nach Angaben der Vereinten Nationen sind im Nordosten Syriens inzwischen rund 200.000 Menschen vor dem Krieg auf der Flucht. Fast die Hälfte der Vertriebenen sind laut Unicef Kinder und Jugendliche.
Hunderttausende auf der Flucht
Eine Stadt, die aktuell viele Flüchtlinge aufnehmen muss, ist zum Beispiel Reyhanli an der türkisch-syrischen Grenze. Rund 100.000 Menschen leben hier - dazu kommen fast ebenso viele syrische Flüchtlinge.
Viele von ihnen seien in die Türkei gekommen, als die Grenze noch offen war, manche schon vor Jahren, sagt Karin Senz ARD-Korrespondentin für die Türkei, die sich in Reyhanli aufhält.
Die Flüchtlinge seien im Grunde nicht gern gesehen, sagt Karin Senz: Viele Türken seien der Meinung, die Syrer sollten wieder zurück in ihr Land. Auch weil sie in der Türkei für wenig Lohn arbeiten, und die wirtschaftliche Situation ohnehin angespannt sei.
Karin Senz sagt, viele Türken in der Grenzstadt befürworten die Militäroffensive. Sie wollen, dass die Syrer zurückkehren - zumindest die Männer - um zu kämpfen: "Die gelten fast so ein bisschen wie Fahnenflüchtige, als würden sie ihr Vaterland im Stich lassen."
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