Seit Wochen und Monaten wird in Deutschland über eine sogenannte Übergewinnsteuer für Unternehmen gesprochen, die besonders vom Krieg in der Ukraine profitieren. Doch was ist "Übergewinn" überhaupt? Und was spricht für und was gegen eine solche Steuer?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP ist gegen eine Übergewinnsteuer. "Es gibt keinen Übergewinn“, hat sie in der ZDF-Talkshow Markus Lanz gesagt. Das Steuersystem, das wir haben, sei auch so schon gut genug: Unternehmen mit hohen Gewinnen würden auch jetzt schon mehr Steuern zahlen.

Übergewinn definieren

Prinzipiell hat die FDP-Politikerin zwar Recht, sagt Anna Leisner-Egensperger, Leiterin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Universität Jena. Es gibt keine feste Definition von Übergewinn. Trotzdem könne man sich natürlich durchaus darum bemühen, den Begriff zu definieren. Allgemein werde darunter der Gewinn verstanden, der über einen sogenannten Normalgewinn hinausgeht.

"Unter Übergewinn wird allgemein der Gewinn verstanden, der über einen sogenannten Normalgewinn hinausgeht."
Anna Leisner-Egensperger, Rechtswissenschaftlerin

Doch auch der Normalgewinn müsse natürlich erst mal definiert werden:

  • Entweder man legt ihn anhand der üblichen Rendite fest – zum Beispiel sieben, acht, neun Prozent des eingesetzten Kapitals – und sagt: Darüber darf es nicht gehen.
  • Oder man knüpft an den Gewinn des Unternehmens in Friedens- bzw. Nicht-Krisenzeiten an. Man nimmt etwa die Gewinne der Jahre 2020 und 2021 und bildet daraus einen Durchschnittswert.

Was für eine Übergewinnsteuer spricht

Einige Punkte würden für die Einführung einer Übergewinnsteuer sprechen, sagt die Juristin. Natürlich vor allem die Hoffnung darauf, dass die Staatseinnahmen steigen: Man könnte etwa Kindergeld oder Wohngeld erhöhen und die Menschen in der Energiekrise möglicherweise noch mehr unterstützen.

"Es wird allgemein als moralisch verwerflich angesehen, sich an einer Krise zu bereichern."
Anna Leisner-Egensperger, Rechtswissenschaftlerin

Am stärksten wiege aber "eine Art von moralischem Argument": sich an einer Krise zu bereichern, werde in unserer Gesellschaft als moralisch verwerflich angesehen. Ein gutes Beispiel dafür sei der Maskenskandal in der Corona-Pandemie gewesen.

Unter der Energiekrise leiden sehr viele Bürger*innen. Und obwohl die Regierung versuche, die Menschen mit Tankrabatt, Energiepauschale, Heizkostenzuschuss oder Mehrwertsteuersenkung zu entlasten, erscheine der Staat vielen zunehmend als ohnmächtig, so die Juristin. Am Ende komme noch relativ wenig bei den Bürger*innen an. Und so verfestige sich der Eindruck, man müsse jetzt "die da oben" zur Kasse bitten, die die hohen Gewinne machen.

Gerechtigkeit vs. Wirtschaftspolitik

Im Ergebnis ist Anna Leisner-Egensperger allerdings gegen die Einführung einer Übergewinnsteuer. Letztlich entscheidend dagegen sprächen wirtschaftspolitische und juristische Argumente.

"Im Ergebnis halte ich es nicht für eine gute Idee, eine Übergewinnsteuer einzuführen. Denn überdurchschnittliche Gewinne haben in einer Marktwirtschaft einen sehr wichtigen Lenkungseffekt."
Anna Leisner-Egensperger, Rechtswissenschaftlerin

Eine Übergewinnsteuer würde dem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden, sagt Anna Leisner-Egensperger. Denn der Anreiz, die Gewinne in Innovationen und Forschung zu investieren, fiele weg.

Hohe Gewinne bieten Anreiz für Innovationen

Ausländische Investoren bekämen zudem Zweifel, ob sie nach Deutschland kommen sollen. Überdurchschnittliche Gewinne, wie sie gerade erzielt werden, hätten in einer Marktwirtschaft wie Deutschland also einen sehr wichtigen Lenkungseffekt.

Das größte Problem ist für Anna Leisner-Egensperger aber rechtlicher Natur: Eine Übergewinnsteuer könnte verfassungsrechtlich gar nicht ohne Weiteres eingeführt werden, sagt sie.

Steuerarten lassen sich nicht einfach erfinden

Es gibt in Deutschland einen festen Katalog von Steuerarten und man kann nicht einfach Steuerarten dazu erfinden, hat das BVerfG vor einigen Jahren klargestellt. Wenn sie kurzfristig kommen soll, müsste eine etwaige Übergewinnsteuer also theoretisch in eine bereits bestehende Steuerkategorie dazugepackt werden. Wenn sie kommt, wären Klagen zu erwarten – und möglicherweise in einigen Jahren auch riesige Rückzahlungsforderungen an den Staat, vermutet die Juristin.

Die aktuelle Diskussion appelliert vor allem an das moralische Empfinden und bringt den fordernden Parteien Sympathiepunkte, sagt Leisner-Egensperger. Eine echte Chance auf die Einführung einer Übergewinnsteuer sieht sie nicht.

Shownotes
Gerechtigkeitsempfinden
Übergewinnsteuer: Moralisch verständlich, rechtlich schwierig
vom 19. August 2022
Moderation: 
Till Haase
Gesprächspartnerin: 
Anna Leisner-Egensperger, Leiterin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Universität Jena