Die Pille gibt den Frauen in den 1960er Jahren erstmals eine sichere Kontrolle über den Kinderwunsch und hilft ihnen bei der sexuellen Befreiung. Bis heute schätzen Frauen ihre hohe Sicherheit und Verlässlichkeit.

Als am 18. August 1960 die Antibabypille in den USA auf den Markt kommt – ein Jahr später in Deutschland – ist es nicht so, dass die Frauen sich darauf stürzen und es offen herumposaunen, dass sie mit der Pille verhüten. Die Pille ist anfangs ein tabuisiertes Verhütungsmittel, sagt Katharina Rohmert. Sie ist Frauenärztin und berät Frauen bei Pro Familia.

Über Pille nicht aufgeklärt

Die Pharma-Firmen bewerben die Pille nicht und klären auch nicht über ihre Wirkung auf. Nur wenige Frauenärzte wissen damals über die Antibabypille Bescheid, sagt Katharina Rohmert. Einen ersten Bericht gibt es im Magazin Stern.

"Für die Frauen war es revolutionär, dass sie die Verhütung selbst in die Hand bekamen."
Katharina Rohmert, Frauenärztin bei Pro Familia

Für die Frauen gleicht die Antibabypille einer Revolution, weil sie erstmals selbst die Verhütung kontrollieren können. Allerdings bekommen zunächst nur verheiratete Frauen die Pille verschrieben, die schon Kinder haben, sagt Katharina Rohmert. Junge Frauen haben keinen Zugang zu dieser Verhütungsform.

"Junge Frauen hatten anfangs praktisch keinen Zugang zur Pille."
Katharina Rohmert, Frauenärztin bei Pro Familia

Heute ist das nur schwer vorstellbar, denn schon pubertierende 14-jährige Mädchen bekommen von Frauenärztinnen die Pille verschrieben. Die Mädchen werden dabei oft von ihren Müttern begleitet und unterstützt. "Da hat sich schon viel seit damals verändert", sagt Katharina Rohmert.

Sicherheit der Pille für Mädchen

Gerade bei Mädchen in dem Alter werde genau untersucht, ob die Pille zu vertreten ist. Heute werden Mädchen früher geschlechtsreif und haben auch früher Sexualverkehr als damals. Ein Kondom zu benutzen, ist in dem Alter häufig noch sehr schambesetzt, sagt die Frauenärztin. Deshalb vermittelt die Einnahme der Pille in dem Alter mehr Sicherheit.

"Für Männer ist es immer schwieriger geworden, sich bei der Verhütung aktiv einzubringen, denn es gibt nur das Kondom oder die Vasektomie."
Katharina Rohmert, Frauenärztin bei Pro Familia

Bis heute ist den Frauen wichtig, dass sie die Verhütung selbst in der Hand behalten, sagt die Frauenärztin. Sie vermutet, dass es durch die Pille zu mehr Gleichberechtigung in der Sexualität gekommen ist: Wünsche äußern und Sexualität gestalten ist dadurch für beide Geschlechter gleichermaßen möglich.

"Bis in die frühen 60er Jahre war Sexualität angstbesetzt - weil immer mitschwang, dass die Frau schwanger werden kann."
Katharina Rohmert, Frauenärztin bei Pro Familia

Bis in die 1960er Jahre hinein hatten Frauen Angst, ungewollt schwanger zu werden. Oft hatten sie mehr Schwangerschaften, als sie es wollten. Einige hatten auch unter riskanten und oft illegalen Umständen Abbrüche vornehmen lassen. Tabu war das Thema Sexualität und alles was dazugehörte ohnehin, sagt Katharina Rohmert.

Die Pille befreite aber nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer: Diese hätten nämlich häufig selbst nicht noch mehr Kinder haben wollen, die sie vielleicht nicht ernähren konnten.

Pille für den Mann - Risiko bleibt bei der Frau

Die inzwischen viel diskutierte Pille für den Mann könnte vielleicht wieder für mehr Gleichberechtigung sorgen. Aber Katharina Rohmert bezweifelt, dass dies wirklich der Fall sein würde. Denn würden Frauen Männern darin vertrauen, dass diese die Verhütung richtig anwenden? Könnten sie sich auf die Männer verlassen? Das Risiko bleibt bei der Frau, denn sie wird schwanger bei einer Verhütungspanne, nicht der Mann, sagt Rohmert.

Bis heute wünschen sich die Frauen eine sichere Verhütung, die ihnen die Pille bietet. Außerdem wollen sie permanent geschützt sein, nicht nur während des Sexualverkehrs, sagt die Frauenärztin. Viele Frauen hoffen auch auf die positiven Nebenwirkungen der Pille, etwa ein verbessertes Hautbild, dichterer Haarwuchs oder bessere Stimmung – je nach Präparat.

"Die Frauen schätzen die hohe Sicherheit und Verlässlichkeit der Pille."
Katharina Rohmert, Frauenärztin bei Pro Familia

Für manche Frauen gibt es auch neben der Verhütung Gründe, die Pille zu nehmen: beispielsweise bei starken Menstruationsbeschwerden. Das war häufiger Verschreibungsgrund Anfang der 60er Jahre, als sie frisch auf den Markt kam, sagt Katharina Rohmert. Die verhütende Wirkung sei damals sogar verschwiegen worden.

Nebenwirkungen abwägen

Die Pille nicht aus Verhütungsgründen zu verschreiben, würde die Frauenärztin nicht ohne Weiteres befürworten. Sie würde zunächst abwägen, wie stark der Leidensdruck ist, in welcher Situation sich die Frau befindet und ob es Alternativen gibt. Denn die Pille kann auch negative Nebenwirkungen haben – je nachdem, um welches Präparat es sich handelt, sagt Katharina Rohmert. Beispiel: Thromboserisiko.

Frauen, die wegen der negativen Nebenwirkungen und der Hormoneinnahme auf die Pille verzichten wollen, können auf Alternativen zurückgreifen. Sie nehmen die geringere Sicherheit der Verhütungsalternativen bewusst in Kauf, sagt die Frauenärztin. Die Ablehnung der Pille komme oft auch von einer "Pillenmüdigkeit", wenn Frauen schon länger als zehn Jahre die Pille nehmen.

Immer weniger Frauen nehmen die Pille (2019)
Die Antibabypille ist das meistgenutzte Verhütungsmittel in Deutschland. Wie die Statista-Grafik (2019) auf Basis von Daten der Techniker Krankenkasse zeigt, wird die Pille immer weniger jungen Frauen verschrieben, die bei der TK versichert sind.
Shownotes
60 Jahre Antibabypille
Frauenärztin: "Bis in die frühen 60er war Sexualität angstbesetzt"
vom 09. Mai 2020
Moderatorin: 
Jenni Gärtner
Gesprächspartnerin: 
Katharina Rohmert, Frauenärztin bei Pro Familia