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Wie wird Polens neuer Präsident Karol Nawrocki das Land verändern? Hauchdünn konnte er sich in einer Stichwahl durchsetzen. Beata Charycka lebt in Warschau und befürchtet, dass der rechtskonservative Politiker das Land noch weiter spalten wird.

Bei der ersten Hochrechnung der Stichwahl in Polen sah es so aus, als würde der liberale Kandidat Rafał Trzaskowski gewinnen – "fast zu schön, um wahr zu sein", sagt Beata Charycka, die als Sozialwissenschaftlerin für eine NGO in Warschau arbeitet. Als dann doch Karol Nawrocki als Sieger hervorging, sei der Schock bei ihr groß gewesen.

Trauer, Wut und Enttäuschung nach Sieg von Nawrocki

Beata ist traurig und zugleich wütend – auf die pro-europäische Regierungspartei PO wie auch auf die oppositionelle rechtskonservative PiS-Partei, sagt sie. Sie schäme sich für das Wahlergebnis und könne nicht verstehen, wie diese Wahl erneut verloren gehen konnte. Die Verantwortung liege bei den Wählern, nicht allein bei der Politik. Jetzt müsse man mit einem Präsidenten leben, den kaum jemand kenne und bei dem immer mehr Skandale ans Licht kämen, sagt sie.

"Auf beide Parteien bin ich sehr wütend und ich schäme mich für dieses Ergebnis, dass es möglich war, diese Wahl zu verlieren."
Beata Charycka

Beata hat sogar Angst vor dem neuen Präsidenten und seiner Vergangenheit, erzählt sie uns. Sie verstehe nicht, dass die liberale Bürgerplattform (PO) die Skandale nicht stärker thematisiert habe. Karol Nawrocki sei ihrer Meinung nach nicht authentisch gewesen, sein wahres Gesicht werde er wohl erst in seiner Amtszeit wirklich zeigen, fürchtet sie.

Karol Nawrocki könne eine neue Rhetorik in den öffentlichen Raum bringen – eine, in der zum Beispiel das Leugnen von Menschenrechten, Klimawandel oder Minderheitenrechten völlig normal erscheine. Der neue Präsident habe so viel gelogen, sagt Beata. Es sei zu befürchten, dass seine Haltung gesellschaftliche Werte verschiebe – dass es also okay sei, zu lügen, wenn es helfe, die eigenen Ziele zu verfolgen.

Polen ist ein tief gespaltenes Land

Als NGO-Mitarbeiterin fürchtet sie, dass unter dem neuen Präsidenten alte Narrative zurückkehren: NGOs als "böser Einfluss aus dem Ausland", die Polen untergraben wollen zum Beispiel.

Schon unter der letzten rechten Regierung seien NGOs als feindlich dargestellt worden, negative Gesetze und Misstrauen gegenüber ihrer Arbeit könnten stark zunehmen – vor allem, wenn die Rechten bei den Parlamentswahlen in zwei Jahren wieder Zulauf bekommen und die Macht dann komplett übernehmen könnten.

"Dieser Mann hat wegen der gesellschaftlichen Spaltung gewonnen – und ich glaube nicht, dass es ein Ziel ist, sie zu überwinden."
Beata Charycka

Karol Nawrocki verstärke die Spaltung in der Gesellschaft. Beata hatte gehofft, dass die Menschen der Polarisierung irgendwie entgegenwirken, sagt sie. Doch genau diese Spaltung habe ihm den Wahlsieg gebracht. Sie glaube nicht, dass er sie überwinden wolle – im Gegenteil.

In Polen hat der Präsident, anders als etwa der Bundespräsident in Deutschland, eine große Machtfülle. Er ist Oberbefehlshaber der Armee, kann außenpolitisch mitwirken und Gesetze per Veto stoppen – das ist besonders relevant, wenn Präsident und Regierung verschiedenen Lagern angehören, wie aktuell in Polen. Reformen könnten so blockiert werden.

Zwielichtige Vergangenheit, als Politiker ein No-Name

Nawrocki führte vor allem einen Negativwahlkampf, meint Martha Wilczynski, die für uns die Wahl in Polen beobachtet hat. Viele seiner Anhänger hätten ihn nicht wegen seiner Stärken gewählt, sondern um den liberalen Trzaskowski zu verhindern.

Nawrocki habe einen Nerv bei konservativ Wählenden getroffen, die eine übermäßige Liberalisierung und einen Ausverkauf an die EU fürchteten. Obwohl Polen wirtschaftlich gut dasteht, sitze die Sorge vor zu viel Einfluss aus Brüssel tief. Mit dieser Angst konnte Nawrocki letztlich punkten, sagt Martha Wilczynski.

"Nawrocki war mal Boxer , soll sogar an Hooligan-Kämpfen teilgenommen haben, er war auch mal Türsteher."
Martha Wilczynski, ARD-Korrespondentin in Moskau

Karol Nawrocki ist politisch ein Unbekannter mit zwielichtiger Vergangenheit. Früher war er Boxer, Türsteher, später als Historiker Leiter des Instituts für Nationales Gedenken. Er gilt als konservativ und wurde von PiS-Chef Kaczyński als Kandidat ausgewählt. Im Wahlkampf rückte er noch mal stärker nach rechts, um rechtsextreme Wähler zu gewinnen.

Nawrocki mit fragwürdigem Gotteszitat

"Und wenn dann mein Volk, über dem mein Name ausgerufen ist, sich demütigt und bittet, wenn es meine Gegenwart sucht und von seinem bösen Weg abkehrt, dann werde ich Ihnen vergeben und ihr Land erlösen" – Karol Nawrocki begann seine Siegesrede mit diesem Bibelzitat.

"Da stockte mir kurz der Atem", so unsere Korrespondentin. Denn das Zitat hat er so angepasst, dass er alle direkten Gottesbezüge herausgenommen hat und sich selbst damit gemeint haben kann.

Für Europa wird Polen kein einfacher Partner

Der knappe Wahlsieg zeigt, wie tief gespalten die polnische Gesellschaft ist. Ein Teil steht für konservative Werte und nationale Souveränität, der andere für EU-Zusammenhalt und Frauenrechte. Während Trzaskowski versöhnlich sprach, um das Land zu einen, forderte Nawrocki "Reue" von seinen Gegnern.

In den letzten zwei Jahren blockierte PiS-Präsident Duda viele Reformen der Regierung Tusk. Laut Beobachtern dürfte sein Nachfolger Karol Nawrocki diesen Kurs fortsetzen – vielleicht sogar noch radikaler, meint Martha.

"Ein Präsident Nawrocki bedeutet für Europa auf jeden Fall mehr Konflikte."
Martha Wilczynski, ARD-Korrespondentin in Moskau

Wenn das Land weiter blockiert wird, könnte das der PiS bei der Parlamentswahl in zwei Jahren nützen – das befürchten viele ihrer Gegner. Schon jetzt zeigen sich Enttäuschung und Politikverdrossenheit: Viele Wähler der liberalen Bürgerkoalition blieben der Präsidentenwahl fern, weil Versprechen wie die Abtreibungsreform nicht umgesetzt wurden. Das könnte der PiS erneut Stimmen bringen.

Polen zuerst

Für Europa bedeutet ein Präsident Nawrocki wohl mehr Konflikte, sagt Martha Wilczynski. Er stehe für ein Polen, das sich nicht hereinreden lassen will – ganz nach dem Motto: Polen zuerst. Zwar gratulierte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und betonte die Zusammenarbeit – doch wie konstruktiv diese künftig verläuft, bleibt fraglich.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Wahl in Polen
Karol Nawrocki: Rechter Präsident mit Gottkomplex
vom 02. Juni 2025
Moderation: 
Rahel Klein
Beata Charycka: 
NGO-Mitarbeiterin aus Polen
Gesprächspartnerin: 
Martha Wilczynski, ARD-Korrespondentin in Moskau