Energiepreise, Lebensmittel und Wohnen: Alles wird gerade noch mal durchgerechnet. Für die Ärmsten wird es ohne präzisere staatliche Hilfe nicht gehen, sagt Wirtschaftsjournalist Nicolas Lieven.
Beim Konsum war es über Jahre eigentlich so: Alle kriegen alles zu jederzeit. Am besten noch geliefert vor die Haustür. Das hat zum Wohlstand wie selbstverständlich dazugehört.
Dann waren manche Produkte nur nach Wartezeiten verfügbar – Grafikkarten zum Beispiel –, manche waren plötzlich weggehamstert – Klopapier! – und nun haben die Preise einiger Grundnahrungsmittel massiv angezogen und sind zugleich immer wieder mal ausverkauft: Mehle, Öle und Fette beispielsweise.
"Die Preise galoppieren drastisch davon. Im Großen und Ganzen müssen wir uns darauf einstellen, dass es wirklich teurer wird."
Die Preise für die günstigsten Supermarktnudeln sind im zweistelligen Prozentbereich gestiegen, auch der Butterpreis für Konsumierende hat angezogen. Dazu kommen steigende Energie- und Heizkosten. Einmal volltanken reicht zum Abgleich mit der neuen Preisrealität völlig aus (Stand 30.05.2022). Die passenden Gründe dafür: Lieferkettenprobleme, steigende Energie- und Transportkosten, im Ernährungsmittelsegment auch Gewinnmitnahmen.
"Die große Frage wird sein: Ruckelt sich das irgendwann wieder hin? Beim Weltwirtschaftsforum in Davos waren die Meinungen sehr geteilt."
Der Wirtschaftsjournalist Nicolas Lieven glaubt, dass diese wirtschaftlichen Zusammenhänge und Funktionsweise nach Corona und dem Ukrainekrieg nicht mehr so sein werden, wie vorher.
Tatsächlich zeige sich in den aktuellen Problemen die Folge einer Produktionsweise, die sich für einzelne Produkte teils über riesige räumliche Distanzen erstreckt, sagt Nicolas Lieven.
Produktionsketten als Problem
Wenn in einer Produktionskette ein Teil fehle, und sei es nur ein Cent-Artikel, lasse sich das gewünschte Produkt am Ende eben nicht mehr herstellen. Nicolas Lieven nennt als Beispiele für diese Probleme: Halbleiterchips, Vorprodukte und Rohstoffe. Konkret seien Kabelbäume für die Autoproduktion nicht verfügbar. Sie sind in großen Mengen in der Ukraine produziert worden.
"Wir haben gesehen, was so eine globalisierte Welt bedeutet. Wir haben eine Produktionskette für einen Artikel, die sich über die ganze Welt erstreckt."
Auch auf den angespannten Wohnungsmarkt werden die gestiegenen Rohstoff- und Baustoffpreise spürbare Auswirkungen haben, vermutet Nicolas Lieven. Die Ambitionen der Bundesregierungen beim Wohnungsneubau könnten – wie andere Großprojekte auch – infrage stehen. Hier seien Rückschläge zu erwarten.
"Die Prognose lautet, dass man sich auf Bestandsimmobilien konzentrieren wird. Viele Käufer werden das kaufen, was es schon am Markt gibt."
Die relativ stark gestiegene Inflation treffe nun besonders diejenigen hart, für die es schon vorher zum Monatsende hin knapp war. "Wir werden soziale Unruhen sehen – zuerst in den Entwicklungsländern", ist Nicloas Lieven überzeugt.
Mit Bezug auf Deutschland sagt er: "In diesem Land wird es so sein, dass die Menschen, die abgehängt werden, immer unzufriedener werden. Da wird der Staat ganz viel leisten müssen."
Hilfe vom Staat
Er verweist darauf, dass in Frankreich und Italien bereits jetzt Unternehmen, deren Gewinne sich im Zusammenhang mit den multiplen Krisen erhöhen, stärker besteuert werden. Diese Mittel werden dann dazu verwendet, die Inflationsfolgen abzufedern. Der Staat müsse das Geld gezielt verteilen, findet er.
"Von Tankrabatten und dem 9-Euro-Ticket profitieren sehr viele, die es nicht so dringend brauchen."