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Mehr als jeder dritte Fernzug ist unpünktlich. Die Bahn will deshalb die Zahl der Züge reduzieren, um durch weniger Ausfälle stabiler zu werden. Klappt nicht, sagt Mobilitätsforscher Andreas Knie. Die Angebote müssten im Gegenteil ausgebaut werden. Das DB-Leitungspersonal fahre Auto und verstehe die Sorgen der Menschen nicht.

Oft zu spät, oft zu voll, manchmal auch einfach gar nicht da. Die Rede ist von der Deutschen Bahn. Marode Infrastruktur, viele Baustellen, überlastete Strecken – der Investitionsstau ist bekanntlich riesig. 64 Prozent der Fernzüge im letzten halben Jahr waren on time, mehr als ein Drittel sind zu spät ans Ziel gekommen.

Um die Situation zu verbessern, will die Bahn jetzt weniger Züge einsetzen, gleichzeitig aber mehr verlässliche Sitzplätze anbieten. Wie das gehen soll? Die Zahl der Sitzplätze soll bis 2036 von 265.000 auf 244.000 sinken. Alte, störanfällige Zugmodelle sollen aussortiert werden, an ihre Stelle sollen modernere Züge treten, die weniger ausfallen. Kann das der Gamechanger in Sachen Pünktlichkeit sein?

"Wir wollen den öffentlichen Verkehr insgesamt deutlich ausbauen. Da muss die Deutsche Bahn mehr tun als sich jetzt gesundschrumpfen."
Andreas Knie, Soziologe und Mobilitätsforscher

Nein, sagt Andreas Knie, Leiter der Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Die Rechnung gehe nicht auf. Von der Bahn müsse viel mehr erwartet werden. "Wir wollen ja eine Verkehrswende, wir wollen ja weniger Autos haben." Um das zu schaffen, reiche ein Gesundschrumpfen nicht aus.

Verkehrswende geht anders

Dass die alten ICE-Modelle aussortiert werden und die Flotte modernisiert wird, sei völlig normal. "Natürlich muss immer weiter modernisiert werden. Das ist aber selbstverständlich. Das macht jedes Unternehmen mit seinen Produkten", so Andreas Knie.

Seit der Pandemie 2020 habe es einen Rückgang der Verkehrsmengen vor allem im Fernverkehr gegeben. Die Zahlen von vor der Pandemie habe man nie wieder erreicht. Anstatt neue Ideen zu entwickeln und Qualität zu erzeugen, anstatt attraktive Preise anzubieten, betreibe der Bahnkonzern jetzt ein "völlig fantasieloses Gesundschrumpfen".

"Man macht sich kleiner, man macht sich teurer, das kann überhaupt keine Perspektive sein."
Andreas Knie, Soziologe und Mobilitätsforscher

Sich kleiner und teurer zu machen, könne keine Option sein. Um den Fernverkehr wieder attraktiv zu gestalten, muss hier seiner Meinung nach "sofort dringend umgesteuert" werden. Mehr Sitzplätze trotz kleinerer Flotte, was die Bahn verspricht, sei so nicht nachvollziehbar.

Die Auslastung der Bahn im Fernverkehr (44 Prozent in den ersten vier Monaten 2025) bleibt hinter den selbstgesetzten Zielen der Bahn (50 Prozent) zurück. Natürlich könne man in diesem Bereich sparen, sagt Andreas Knie. Das sei aber der falsche Gedanke, denn Ziel müsse ja sein, mehr Kund*innen zu transportieren.

Vorschlag: Angebot erweitern statt kürzen

Wenn man zumindest die Verkehrsmenge aus 2020 wieder erreichen wolle und vielleicht sogar mehr, dann müsse das Angebot ausgebaut und nicht reduziert werden. Vor allem an Wochenenden und in den Ferien sei das Angebot teilweise zu knapp. Deutschland stagniert hier verkehrspolitisch, findet Andreas Knie.

"Ich muss also meine Angebote ausbauen, verbessern – gerade vor allen Dingen natürlich dann, wenn alle fahren wollen: in den Ferienzeiten oder an den Wochenenden."
Andreas Knie, Soziologe und Mobilitätsforscher

Was er ebenfalls kritisiert: Der geplante Sparkurs der Bahn, also die Zahl der Züge zu verringern, sei überhaupt nur bekannt geworden, weil interne Papiere durchgestochen worden seien.

All das müsse viel transparenter werden, sagt der Mobilitätsforscher – und bezieht hier auch explizit "die völlig intransparente Preisgestaltung" und das zuletzt viel diskutierte beendete Reservierungssystem für Familien mit ein. "Das muss alles wieder zurückgeführt werden auf den ursprünglichen Stand", findet er.

Knie: DB-Entscheidungsträger fahren Auto

Damit die Deutsche Bahn wieder pünktlich wird, muss offenbar auch im Konzern selbst ein Umdenken stattfinden.

"Man macht Dinge, die man nicht verstehen kann, weil die Menschen, die diese Bahn leiten, in der Regel alle Autos fahren."
Andreas Knie, Soziologe und Mobilitätsforscher

Die allermeisten Entscheidungsträger bei der Bahn würden Auto fahren, sagt Andreas Knie. "Man leistet sich mit der Bahn eigentlich ein Hobby. Man sperrt lange Strecken einfach von Berlin nach Hamburg über Monate hinaus. Das würde man mit keiner Autobahn tun."

Andreas Knie hat auch einen Vorschlag, wie sich dieses Problem vielleicht lösen ließe: "Das muss als Grundverständnis mal sein, dass jeder, der bei der Deutschen Bahn arbeitet, kein eigenes Auto mehr hat. Dann versteht er endlich mal die Sorgen und Nöte der Menschen, die dauerhaft mit der Bahn unterwegs sind."

Shownotes
Weniger Züge, mehr Plätze (?)
Mobilitätsforscher zur Bahn: "Fantasieloses Gesundschrumpfen"
vom 01. Juli 2025
Moderation: 
Jenni Gärtner und Thilo Jahn
Gesprächspartner: 
Prof. Dr. Andreas Knie, Mobilitätsforscher, Leiter der Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)