Selbst wenn wir immer pünktlich unsere Miete gezahlt haben und eigentlich keine Probleme mit den Vermietenden haben, gibt es einen Albtraum, eine Art Endgegner – und zwar die Kündigung wegen Eigenbedarf. In der Regel heißt das: Wir müssen raus. Oder doch nicht? Vor kurzem gab es dazu ein wichtiges Urteil.

Immobilieneigentümer, die ihre Wohnung oder ihr Haus für sich selbst oder ihre Familienmitglieder benötigen, dürfen das Mietverhältnis beenden. So weit das Gesetz. Ein Urteil des Landgerichts Berlin könnte an dieser Praxis allerdings ein bisschen was ändern, sagt Wirtschaftsjournalist Nicolas Lieven.

Es gebe in Deutschland ungefähr 80.000 solcher Fälle pro Jahr. In dem konkreten Fall in Berlin hat eine Vermieterin einer Wohnung Eigenbedarf angemeldet – und der Mieter hat sich dagegen gewehrt und widersprochen.

Härtefallregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch

Er berief sich dabei auf eine Klausel im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), eine Art Härtefallregelung: Es sei ihm unmöglich auszuziehen, weil der Mietmarkt so überfüllt ist und er keine Chance habe, etwas Neues zu finden.

Was folgte, war eine Räumungsklage.

"Die Richter haben die angeführten Härtefallgründe anerkannt. Der Mieter hatte hunderte abgelehnte Bewerbungen vorgelegt."
Nicolas Lieven, Wirtschaftsjournalist

In der ersten Instanz war die Vermieterin noch aus formellen Gründen gescheitert. Da ging es noch gar nicht um Inhalte, sondern um verpasste Fristen. Die zweite Instanz, das Berliner Landgericht, hat dann aber geurteilt, dass der Mieter vorerst – zumindest mal für zwei Jahre – in der Wohnung bleiben darf. Die Richter haben also die angeführten Härtefallgründe anerkannt.

Nachweis: Hunderte abgelehnte Bewerbungen

Der Mieter konnte nachweisen, dass er zu zumutbaren Bedingungen nichts Vergleichbares finden konnte. Vor allem die Miethöhe hat meistens nicht gepasst. Der Mieter hatte hunderte abgelehnte Bewerbungen vorgelegt.

"Bahnbrechend ist, dass die Rechtslage eigentlich total klar ist. In diesem Fall hat das Gericht anerkannt, dass der Mieter vergeblich versucht hat, eine neue Wohnung zu finden. Das gab es in der Form noch nicht."
Nicolas Lieven, Wirtschaftsjournalist

Nicolas Lieven hält das Urteil für bahnbrechend, weil bei einer Kündigung wegen Eigenbedarf meistens zugunsten der Vermieter entschieden wird. Wenn sie Eigenbedarf anmelden für die eigenen Kinder, für Verwandte, für Pflegepersonal oder Hausangestellte, müssten die Mietenden normalerweise raus, sagt er. Notfalls eben per Räumungsklage.

Die Frist, die die Gerichte ihnen dann in der Regel einräumen, ist sehr, sehr kurz. Und nicht zwei Jahre. In diesem Fall hat das Gericht anerkannt, dass der Mieter vergeblich versucht hat, eine neue Wohnung zu finden. Das gab es in der Form noch nicht.

Gericht berücksichtigt Aussagen der Politik

Das Gericht hat außerdem anerkannt, dass die Politik gesagt hat: Wir haben einen Mangel an Mietraum in Berlin. Früher sei es üblich gewesen, dass das Gericht teure Gutachten in Auftrag gab, die dann meist der Prozessverlierer zahlen musste. Viele Mieterinnen und Mieter hatten also auch einfach Angst davor, vor Gericht zu ziehen.

Genau das könnte sich durch dieses Urteil jetzt ein Stück weit ändern, glaubt Nicolas Lieven. Durch dieses Urteil – bisher hat das noch Einzelfallcharakter – sind die Chancen der Mietenden gestiegen. Natürlich gibt es aber auch Haken an der ganzen Sache, erklärt der Wirtschaftsjournalist:

  • In zwei Jahren geht das Ganze wieder von vorne los – und der Mietmarkt wird sich bis dahin nicht groß verändert, sondern möglicherweise eher noch verschärft haben.
  • Die bisherige Miete wird in den zwei Jahren auf jeden Fall steigen.
  • Das Problem, eine neue Wohnung finden zu müssen, bleibt. Es gibt Bediungungen: Wenn man keine Wohnung findet, muss das nachgewiesen werden.
  • Die Stimmung bei den Vermietenden sinkt: Wenn sie sich nicht mehr darauf verlassen können, ihre Immobilie nach einer gewissen Zeit selbst nutzen zu können, vermieten sie vielleicht gar nicht erst. Dann fehlt noch mehr Wohnraum.

Wenn ihr selbst eine Eigenbedarfskündigung bekommt und diese nicht akzeptieren möchtet, solltet ihr den Mieterbund und/oder einen Anwalt kontaktieren. Zudem müsst ihr – nachweisbar – aktiv eine Ersatzwohnung suchen.

Shownotes
Wohnen
Urteil stärkt Mietende bei Eigenbedarfskündigungen
vom 06. April 2024
Moderation: 
Christian Schmitt
Gesprächspartner: 
Nicolas Lieven, Wirtschaftsjournalist