Alleine an WeihnachtenWie wir die Feiertage überstehen

An das letzte gemeinsame Weihnachten zusammen mit ihrer Familie – mit Mutter, Vater und Schwester – kann sich Andrea nur noch dumpf erinnern, sagt sie.

Bis sie fünf Jahre alt war, seien ihre Eltern noch zusammen gewesen und alle hätten gemeinsam Weihnachten gefeiert. Andrea hat daran aber keine guten Erinnerungen, sagt sie: "Da gab es immer viel Streit." Als Kind habe sie immer viel Angst gehabt an Weihnachten. Bis heute koste es sie viel Kraft, diese Angst zu überwinden.

Andrea ist in sehr schwierigen Familienverhältnissen aufgewachsen. Ihre Mutter ist psychisch krank, mit ihrem Vater hatte sie in ihrem Leben nur sporadischen Kontakt, sagt sie. Mit 16 Jahren sei sie schon von Zuhause ausgezogen. Der Kontakt zu ihrem Vater und ihrer Schwester sei mittlerweile komplett abgebrochen. "Ich habe mich von diesen ungesunden Familienstrukturen abspalten müssen, um selber die Chance auf ein gesundes Leben zu haben", so Andrea.

Andrea liebt Weihnachtsfilme

Auch wenn Andrea Weihnachten nicht mag – sie liebt Weihnachtsfilme, sagt sie. Jeden Tag könne sie sich einen kitschigen Streifen reinziehen. "Vielleicht, weil gerade da so eine heile Welt vorgelebt wird, wie ich es nicht kenne", meint sie.

Andrea gehe den Weihnachtstagen aber nicht komplett aus dem Weg. In den letzten Jahren würde ihr diese Zeit auch etwas leichter fallen. Dieses Jahr verbringe sie einen Teil der Tage Zuhause mit ihren Katzen, feiert aber auch mit einer Freundin, von der sie eingeladen wurde. Andrea hat in der Vergangenheit aber auch selbst schon Freundinnen eingeladen und an Weihnachten zu Besuch.

Für die Zukunft, mit welchen Menschen oder in welcher Konstellation auch immer, könne sie sich sogar vorstellen, Weihnachten in irgendeiner Form auch als Tradition zu etablieren. "Ich denke, ich müsste mich dann sehr langsam herantasten – weil ich muss immer noch aufpassen, dass da nicht zu viele schlimme Erinnerungen hochkommen", sagt Andrea.

Weihnachten zuhause bei den Eltern, bei Vater oder Mutter zu verbringen, gehört oft zur Tradition. "Weihnachten verbinden wir oft mit dem Bild von Familie und von Harmonie", so die Psychologin Denise Ginzburg. Trotzdem kann es sein, dass wir das Fest in einem Jahr auch mal mit anderen Menschen verbringen wollen. Dann könne es sein, dass wir uns durchaus ein bisschen zerrissen fühlen, so die Psychologin.

Dabei können auch Schuldgefühle hochkommen, weil wir wissen, dass wir mit der Absage jemanden enttäuschen und traurig machen können, sagt Denise Ginzburg. Teilen uns die anderen dann ihre Enttäuschung mit, dann sollten wir, statt uns schuldig zu fühlen, den Raum schaffen, um über ihre Erwartungen und die eigenen Beweggründe zu sprechen – und vielleicht auch über eine Lösung für das kommende Jahr.

Es gibt aber auch Menschen, die sich schon seit langem dagegen entschieden haben, mit ihrer Kernfamilie Weihnachten zu feiern. Bei Personen, die sich das eigentlich anders wünschen würden, sollten wir ein bisschen vorsichtig sein, wenn wir unser Mitgefühl aussprechen wollen – damit wir nicht zu sehr in eine emotionale Wunde stechen, sagt die Psychologin.

Im europäischen Kontext ist es prinzipiell schwer, Weihnachten zu entkommen. Das Fest ist einfach da und wird überall gefeiert. Wer keine Lust darauf hat, wird dennoch damit konfrontiert. Für manche Menschen ist das kein Problem. Anderen fällt das Alleinsein in den Tagen vielleicht schwerer. Um das Gefühl besser einschätzen zu können, kann es helfen, erst mal darüber zu reflektieren, was genau Weihnachten für einen konkret bedeutet und wie wir uns das Fest bzw. die Tage eigentlich idealerweise vorstellen, so die Psychologin.

Ob Kino, Fitnessstudio, sich mit Gleichgesinnten treffen und Anti-Weihnachten feiern – Alternativprogramme seien möglich. Und vielleicht findet die oder der ein oder andere dabei auch eine neue, eigene Weihnachtstradition für sich.

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