Alexandra war auf ihrem Klassentreffen – und fühlte sich auf einmal wieder wie mit 15. Psychologin Urooba Aslam erklärt, warum wir in bestimmten Kontexten oder mit Personen aus der Vergangenheit in alte Verhaltensmuster zurückfallen.

Fünf Jahre nach dem Abi trifft Alexandra wieder auf ihre Mitschüler*innen – und verhält sich auf einmal wieder so, wie sie es eigentlich schon lange nicht mehr will. Während der Schulzeit hatte sie zwar ihre Clique, aber sie standen doch immer etwas abseits von den anderen.

"Ich gehörte während der Schulzeit eher zur Gruppe der "Wunderlichen" – also jemand, der in der Pause abseitssteht und Sachen macht, die niemand so richtig versteht."
Alexandra

Nach dem Abi hat Alexandra ihrer Heimatstadt so schnell es ging den Rücken zugekehrt. Ihr großes Ziel: Sich in einer neuen Stadt mit Fremden Menschen neu erfinden, ihr altes Ich hinter sich lassen und dazugehören.

Klassentreffen: Jetzt ist alles anders

Das ist ihr auch geglückt. Fünf Jahre später wurde sie aber mit ihrem alten Ich konfrontiert: Ein Klassentreffen stand an. Zwar ist Alexandra in diesen Jahren immer wieder mal in der Heimat gewesen und hat einzelne Leute aus ihrem Jahrgang gesehen, doch in der alten Konstellation mit allen anderen wieder an einem Tisch zu sitzen, hat sie aus dem Konzept gebracht: Sie hatte das Gefühl etwas beweisen zu müssen.

"Ich wollte unbedingt zeigen, dass ich jetzt anders bin und genau dadurch fiel ich doch wieder in die wunderliche Rolle zurück."
Alexandra

Sie wollte ihren Mitschüler*innen zeigen, dass sie sich geändert hat, dass sie nicht mehr "wunderlich" ist und fing an, laut zu reden und die Konversation an sich zu reißen. Im Nachhinein dachte sie, dass sie gerade dadurch überhaupt nicht authentisch gewesen ist und sie ihren Mitschüler*innen gefallen wollte – obwohl sie das nicht nötig hat.

Denn sie sei längst jemand anderes und das müsse sie niemandem beweisen. Rückblickend glaubt Alexandra, dass ihr das zu dem Zeitpunkt noch nicht so bewusst war wie heute.

Schulzeit war mit Leiden verbunden

Ihre Schulzeit verbindet Alexandra mit vielen Verletzungen, von ihren Mitschüler*innen aber auch von sich selbst. Durch den Neuanfang nach dem Abitur hat sie vieles eher verdrängt als verarbeitet, sagt Alexandra heute. So erklärt sie sich auch den Rückfall in alte Rollenmuster auf dem Klassentreffen.

"Hätte ich mich damals gedanklich mehr damit auseinandergesetzt, wer ich zur Schulzeit war und warum ich unbedingt weg wollte, wäre vielleicht auch das Klassentreffen anders gelaufen."
Alexandra

Aber nicht nur ihre früheren Mitschüler*innen können bei Alexandra alte Rollenmuster wecken: Auch mit ihren Eltern gibt es immer wieder Momente, die sie triggern, sagt sie. Obwohl sich das Verhältnis zwischen Alexandra und ihren Eltern gewandelt hat, können Themen, die früher Streit ausgelöst haben, sie auch heute wieder zum Kind machen.

Urooba Aslam
© Mariam Ahmed
Psychologin Urooba Aslam sagt, es ist normal, in alte Rollenmuster zu fallen.

Urooba Aslam ist Psychologin und Moderatorin beim funk-Kanal Psychologeek. Sie sagt, dass es normal ist, in alte Rollen zu fallen, denn schließlich helfen uns Rollen auch im Alltag. Wir übernehmen in fast jeder Beziehung eine andere Rolle.

Überrascht uns dieses Zurückfallen und finden wir uns in einer Rolle wieder, mit der wir uns nicht mehr identifizieren können, dann stecken oft unangenehme oder negative Erinnerungen und Emotionen dahinter, die wir vielleicht noch nicht richtig verarbeitet haben.

"Manchmal bricht einfach Gewohnheit durch: Wenn wir etwas jahrelang gewöhnt waren und zu es zu unserem System gehört hat, dauert es auch lange bis es nicht mehr zum Affekt wird."
Urooba Aslam, Psychologin

Alte Rollenmuster können uns auch in kleinen, alltäglichen Situationen überraschen: Auf einmal lachen wir über den Witz, der eigentlich nicht mehr unserem Wertesystem entspricht oder wir entschuldigen uns für etwas, das uns gar nicht leid tut. Solche Affekte passieren automatisch – bis sich auch die verändert haben, dauert es, sagt die Psychologin. Fühlen wir uns direkt danach nicht wohl mit unserem Verhalten, sei das meist ein Zeichen, das wir aufnehmen und reflektieren können.

Reflektion ist immer der erste Schritt, sagt Urooba Aslam. Fallen wir in eine unliebsame Rolle zurück, sollten wir uns das Bewusstmachen und uns befragen, was gerade passiert. Oft kommt in solchen Situationen Wut oder Hilflosigkeit auf und es hilft, diese dann zu reflektieren.

"Es kann auch helfen, sich zu überlegen, wie man in einer ähnlichen Situation künftig stattdessen reagieren möchte und das durchzuspielen."
Urooba Aslam, Psychologin

Die Psychologin rät dazu, Situationen, in denen wir oft in alte Rollenmuster zurückfallen, neu zu durchdenken und durchzuspielen. Das sei auch ein Ansatz in der Therapie. Dazu zählt auch, das im Rollenspiel durchzugehen. Wer nicht in Therapie ist, kann natürlich auch eine Freundin oder einen Freund bitten, eine solche Situation mit einem durchzugehen.

In welchen Situationen Alexandra heute noch bei ihren Eltern wieder zum Kind wird und warum Psychologin Urooba Aslam empfiehlt, sich anderen anzuvertrauen, welche Situationen für einen selbst unangenehm sind, hört ihr in der Ab 21.

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  • Ab 21
  • Moderatorin: Shalin Rogall
  • Gesprächspartnerin: Alexandra, ist bei ihrem Klassentreffen in alte Rollenmuster gefallen
  • Gesprächspartnerin: Urooba Aslam, Psychologin