Forscher haben bei Menschen, die über ein Jahr in der Antarktis lebten, Gehirnveränderungen festgestellt. Ein Team der Charité-Universitätsmedizin Berlin hat das Ganze untersucht. Wir haben mit dem Neurowissenschaftler Henning Beck gesprochen.

Anhaltende Dunkelheit, bis zu minus 50 Grad, immer die gleichen Gesichter - bei Menschen, die sich 14 Monate auf der Neumayer-Station III in der Antarktis aufhielten, sind Verkleinerungen in Teilbereichen des Großhirns, des Hippocampus, festgestellt worden. Das berichten Forscher im New England Journal of Medicine.

"Die Leute, die auf der Neumayer-Station arbeiten, sind lange in der kalten Einsamkeit gefangen."
Henning Beck, Neurowissenschaftler

Ein Team der Charité-Universitätsmedizin Berlin um Alexander Stahn hat das Ganze untersucht. Sie haben per MRT strukturelle Hirn-Aufnahmen vor und nach der Expedition gemacht, Blutproben der einbezogenen fünf Männer und vier Frauen analysiert und sie regelmäßig kognitiven Tests unterzogen. Die Ergebnisse wurden mit denen einer Kontrollgruppe in Deutschland verglichen.

Isolation entscheidender als die Kälte

Heraus kam: Die Kälte ist gar nicht so das Problem – sondern die Tatsache, dass die Menschen so lange in der eisigen Einsamkeit isoliert sind. In vielen Schlagzeilen
war zunächst wirksam formuliert worden: „Unser Gehirn schrumpft bei extremer Kälte“. Das ist aber so pauschal bzw. zugespitzt gar nicht zutreffend, sagt Henning Beck. Denn die Forscher hätten ja nicht permanent bei -50 Grad gearbeitet, sondern natürlich auch lange Zeit im Inneren der Station bei um die 20 Grad.

"Türsteherfunktion" des Hippocampus

Unser Denken wird durch extreme Umweltverhältnisse beeinflusst, so der Neurowissenschaftler: Im Falle der Polarforscher war eine bestimmte Region des Hippocampus betroffen, die für Gedächtnis und räumliches Denken zuständig ist. Die Veränderungen führten offenbar dazu, dass die Menschen in Kognitionstests nicht mehr so gut abgeschnitten haben wie vorher. Auch ihre Gedächtnisleistung habe sich verschlechtert. Und: Die "Türsteherfunktion" des Hippocampus – herauszufiltern, was nicht so wichtig ist – habe nicht mehr so funktioniert, wie sie es soll.

"Nach der Isolation im ewigen Eis war bei den Forschern die Fähigkeit gestört, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden."
Henning Beck, Neurowissenschaftler
Shownotes
Polarforscher in der Antarktis
In der Isolation schrumpfen Teile unseres Hirns
vom 21. Dezember 2019
Moderation: 
Ralph Günther
Gesprächspartner: 
Henning Beck, Neurowissenschaftler