Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Krankenhäuser in Deutschland, dann wird auch die medizinische Versorgung besser. Das besagt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Der Vorschlag, Kliniken zu schließen, sei aber zu kurz gedacht, sagt Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide.

Laut der Studie benötigen wir in Deutschland nur circa 600 Kliniken – aktuell sind es rund 1400. Das Argument der Studienautorinnen und Studienautoren: Bei Behandlungen und Operationen ist die Erfahrung wichtig und die gebe es eher in den großen und spezialisierten Kliniken. Das Modell wurde für den Raum Köln/Leverkusen simuliert, da sich hier sowohl ländliche als auch städtische Regionen befinden.

Grundsätzlich klingt diese Aussage erst einmal gut, sagt Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide. Wenn ein Krankenhaus groß ist und viele Patientinnen und Patienten hat, dann haben die Ärzte auch viel Erfahrung. Dann gibt es auch genügend Pflegepersonal und Ärztinnen und Ärzte, die genügend Routine haben. Und das müsste den Patienten erst einmal zugutekommen.

"Das wird auch schon gemacht: Viele Kliniken schließen sich zu Verbünden zusammen und spezialisieren sich."
Martin Winkelheide, Wissenschaftsjournalist

Entwicklungen wie diese gebe es schon, so der Wissenschaftsjournalist: Ein Krankenhaus spezialisiere sich auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, das andere auf Magen-Darm-Erkrankungen. Aber das sei vor allem in Ballungsräumen möglich.

Region Köln/Leverkusen nicht mit manchen anderen Regionen Deutschlands vergleichbar

Die Studie bezieht sich auf den Raum Köln/Leverkusen, mit der Begründung, dass es hier städtische und ländliche Regionen gebe. Große und hoch spezialisierte Kliniken sind vom Raum Köln/Leverkusen aus aber verhältnismäßig schnell erreichbar: zum Beispiel die Universitätskliniken in Bonn, Düsseldorf oder Köln.

"Einfach nur Kliniken dichtzumachen, das würde das Stadt-Land-Gefälle erheblich verschärfen."
Martin Winkelheide, Wissenschaftsjournalist

Martin Winkelheide sieht hier einen Unterschied zu anderen ländlichen Regionen in Ostdeutschland oder Niedersachsen: Dort müsse man heute schon weite Strecken auf sich nehmen, um ein Krankenhaus mit Maximalversorgung zu erreichen – von denen es den Vorschlägen der Studie zufolge nur noch rund 50 in Deutschland geben soll.

Auf alle Optionen der ärztlichen Versorgung schauen

Die Vorschläge der Bertelsmann-Stiftung auf Deutschland anzuwenden sei schwierig, sagt der Wissenschaftsjournalist. Die Studie schaue auf den Klinikbereich, dabei sei die Frage nicht "Wie viele Kliniken brauchen wir?", sondern vielmehr "Was brauchen wir, damit Menschen in einer bestimmten Region medizinisch gut versorgt werden?". Das schließe neben Kliniken auch Arztpraxen, sowie ambulante Einrichtungen ein, wo auch operiert werden kann.

"Da kann man sich nicht nur die Kliniken alleine angucken und Zahlenspiele machen."
Martin Winkelheide, Wissenschaftsjournalist

Eine Annahme der Studie sei beispielsweise, dass zu viele Menschen in die Kliniken kommen, die gar nicht kommen müssten. Rund fünf Millionen Menschen im Jahr könnten auch ambulant behandelt werden. Aber für Martin Winkelheide ist vielmehr das Problem, dass es keinen Vorschlag gibt, wo diese Menschen stattdessen ambulant behandelt werden sollen.

Stellen wir uns also eine Welt vor, in der die Empfehlungen der Bertelsmann-Stiftung umgesetzt werden: Dann müssten Kliniken nicht nur geschlossen, sondern massiv ausgebaut werden, so Martin Winkelheide. Und es müssten neue Klinken auf dem Land gebaut werden – das alles sei extrem teuer.

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Shownotes
Kritik an Bertelsmann-Studie
"Einfach Kliniken dichtmachen, würde das Stadt-Land-Gefälle erheblich verschärfen."
vom 15. Juli 2019
Moderatorin: 
Sonja Meschkat
Gesprächspartner: 
Martin Winkelheide, Wissenschaftsjournalist