Illegale und offizielle Lager reichen für die tausenden Geflüchteten in Bosnien und Herzegowina nicht mehr aus. Zum Wintereinbruch könnten vielen obdachlos werden, weil zwei offizielle Lager schließen und neue Standorte nicht gefunden werden.
Es wird kalt – nachts manchmal schon bis zu minus zehn Grad - im Nordwesten Bosniens und Herzegowinas nahe der Grenze zu Kroatien. Acht Kilometer von der kroatischen Grenze entfernt liegt das illegale Flüchtlingslager Vucjak - auf der Balkanroute. Dessen Bewohner seien nicht auf diese Temperaturen vorbereitet. Sie hätten keine wärmende Kleidung, Decken, Strom oder fließendes Wasser. Sie wollten eigentlich weiter - in die EU.
Die Lage auf der ehemaligen Müllhalde sei katastrophal: Medizinische Versorgung gebe es nicht, nur das lokale Rote Kreuz verteile zweimal pro Tag Essen. Hilfsorganisationen warnen seit Wochen vor dem hereinbrechenden Winter, der viele Todesopfer in Vucjak fordern könnte. So auch Peter Van der Auweraert von den Vereinten Nationen im Interview mit der Deutschen Welle.
"Wenn Menschen den Winter über dort bleiben, wird es Tote geben - in ein paar Tagen, in ein paar Wochen."
Fast 1000 Flüchtlinge leben mittlerweile in dem illegalen Camp – denn die offiziellen Lager, in denen zumindest eine rudimentäre Grundversorgung gewährleistet werde, seien bereits überfüllt.
Über Nacht obdachlos
Jetzt drohe sogar die Schließung der beiden großen offiziellen Flüchtlingslager im Norden des Landes: Bira und Miral, deren Verträge auslaufen würden. Die Internationale Organisation für Migration der Vereinten Nationen warnt davor, dass viele Menschen über Nacht obdachlos werden könnten – und das bei Minus-Graden, berichtet Srdjan Govedarica, ARD-Korrespondent in Südosteuropa.
"Die sagen: Wir werden es vielleicht schaffen, die Schwächsten – Frauen Kinder, Kranke, Alte – woanders unterzubringen. Die überwiegende Anzahl aber nicht. Die werden dann praktisch über Nacht obdachlos."
Aktuellen Schätzungen zufolge leben in den beiden offiziellen Lagern etwa 2400 Menschen. Doch wohin mit ihnen nach der Schließung? Das Ministerium für Sicherheit in Sarajevo plant den Bau eines neuen Flüchtlingscamps. Der Wille sei da, eine Lösung zu finden, und auch die finanziellen Mittel, beteuerte Sicherheitsminister Dragan Mektic gegenüber der ARD. Das Problem: Fast der gesamte Grundbesitz gehöre den lokalen Verwaltungen, dem Staat gehöre nur wenig Land, so der Sicherheitsminister.
Kommunen wollen keine Lager
Mit Blick auf die Kommunalwahlen im Frühjahr 2020 möchte keine Kommune das Lager vor der eigenen Haustür haben, berichtet Srdjan Govedarica. Der Wahlkampf sei vielen Politikern einfach wichtiger.
"Im kommenden Jahr sind Lokalwahlen. Es findet sich kein Bürgermeister, der bereit ist so eine Entscheidung zu treffen, weil der politische Gegner das dann möglicherweise gegen ihn verwendet."
DRK: "Humanitäre Katastrophe"
Langsam steige der internationale Druck. Christos Stylianides, EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenmanagement, fordere die Regierung in Sarajevo auf, dringend zusätzliche Vorkehrungen zu treffen, um sichere und würdige Lebensbedingungen für Migranten und Flüchtlinge zu gewährleisten.
Auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) äußere sich besorgt: Die Lage verschlechtere sich massiv. Es warne vor einer humanitären Katastrophe, berichtet Srdjan Govedarica.
"Die EU hat sich zu Wort gemeldet und das DRK hat ein sehr alarmierendes Schreiben in die Öffentlichkeit gesandt, dass dort eine humanitäre Katastrophe droht."
Doch selbst wenn ein neuer Standort für eine Flüchtlingsunterkunft gefunden werde, könnten die Betroffenen nicht direkt dort einziehen, erklärt Srdjan Govedarica. Die Unterkunft müsste in Stand gesetzt werden, bevor die Menschen dort hingebracht werden könnten. Das alles könnte dauern – bis tief in den Dezember hinein.
Vermintes Gebiet
Täglich versuchen Migranten, illegal in die EU zu kommen. Ein gefährliches Unterfangen, denn in der Grenzregion liegen noch überall Landminen aus den Jugoslawienkriegen in den 1990er Jahren.
Wie viele Migranten sich trotzdem am südöstlichen Rande der EU aufhalten, ist nicht bekannt. Viele Experten warnen aber: Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Lage in Bosnien und Herzegowina eskaliere.
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