Wenn Zarah früher stundenlang auf Social Media unterwegs war, ging es ihr danach häufig schlecht. Die Reizüberflutung war zu viel. Welchen Einfluss endless Scrolling auf unser Gehirn hat und ob es das sogar verändern kann, erklären zwei Experten.
Als Zarah letztens gekocht hat, hat sie eine Sache besonders gefreut: Sie wusste nicht, wo ihr Handy war. Eine Stunde lang war sie in der Küche und hat vergessen, ihre Nachrichten zu checken, Musik anzumachen oder durch ihre Socials zu scrollen.
Das war ein tolles Gefühl für sie. Zarah hat sich nämlich vorgenommen: Sie möchte mehr offline sein. Weg vom Handy, weg von den Apps.
"Während des Scrollens ist man in einem richtigen Rausch."
Das klappt immer besser. Angefangen hat sie mit einer Bildschirmzeit von bis zu sechs Stunden am Tag. In der Pandemie, als vieles gar nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich war, hat sie mehr Zeit auf den Apps verbracht und ist dann ins endlose Scrollen gerutscht, sagt sie. Damals hatte sie das Gefühl, nichts zu verpassen, wenn sie sich schon nicht mit ihren Freund*innen treffen kann.
Endless Scrolling aus Langeweile
Die Pandemie war dann vorbei, aber das stundenlange Abhängen auf Social Media ist geblieben. Besonders wenn sich Zarah Kochvideos ansieht, hat sie erst mal das Gefühl, sie wäre produktiv. "Man lebt in dieser Illusion: Ich mache gerade etwas Nützliches. Aber sobald man dann das Handy weglegt und realisiert: Es ist so viel Zeit vergangen und ich hab nichts Produktives gemacht, dann geht dieses gute Gefühl weg und es schießt doppelt so doll ein schlechtes Gefühl zurück", sagt sie.
"Jetzt, wo ich aktiv versuche, weniger am Handy zu sein, merke ich rückblickend erst, was das mit mir gemacht hat."
Das wollte Zarah so nicht mehr und übt nun aktiv weniger am Handy zu sein. Rückblickend sieht sie, was das viele Scrollen mit ihr gemacht hat: Ihre Konzentration und ihr Schlaf haben gelitten und sie war auch gereizter. Sie weiß inzwischen, dass ihr Körper für die ständige Reizüberflutung nicht gemacht ist.
Brainrot durch Social Media?
In dem Kontext wird häufig auch von "Brainrot" gesprochen. Frei übersetzt würde das "Gehirnverottung" auf Deutsch heißen. Laut des Oxford-English-Dictionary beschreibt das Wort eine "vermeintliche Verschlechterung des geistigen oder intellektuellen Zustands einer Person". Und das eben besonders in Folge, wenn wir viel online abhängen.
Inwiefern Social Media das Gehirn beeinflusst und sogar verändert, damit beschäftigen sich auch Forschende. Lars Kellert ist Professor für Neurologie am Klinikum Großhadern in München und kennt die Studienlage. Er berichtet von einer Studie, die über einen längeren Zeitraum den Einfluss von Social Media auf das Gehirn von Kindern und Jugendlichen untersucht hat.
Social Media und das limbische System
Hirnscans zeigten erst mal keine Auffälligkeiten bei den Kindern und Jugendlichen. Auf den ersten Blick machte es keinen Unterschied, ob sie viel auf den Apps unterwegs waren oder wenig. Beim genauen Hinsehen aber schon. "Wenn man Kinder oder Jugendliche in einen Gehirnscan legt und soziale Medien simuliert, dann weisen Kinder, die sehr viel vor sozialen Medien verbringen, tatsächlich andere Gehirnaktivitäten- und strukturen auf, vor allen Dingen im sogenannten limbischen System", erklärt Lars Kellert.
Dieser Bereich im Gehirn ist unter anderem für das Verarbeiten von Gefühlen wie Angst und Freude zuständig, das Erkennen von Gefahr und auch Sexualität. Einige psychische Erkrankungen haben ihren Ursprung in einer Störung des limbischen Systems.
Daraus aber den Schluss zu ziehen, dass Social Media negative Auswirkungen auf unser Gefühlszentrum oder unser Verhalten hat, sei zu kurz gefasst. "Man kann nicht sagen, ob das, was da passiert, gut oder schlecht ist. Man kennt keine Langzeitfolgen", so der Professor für Neurologie.
Es komme auch auf einen Ausgleich an. Wenn wir eine gewisse Zeit auf den Apps verbringen und gleichzeitig alltäglichen Aufgaben nachgehen, Hobbys haben und im realen Leben Freund*innen treffen, sollten wir uns über eine Stunde am Smartphone nicht so große Sorgen machen.
"Ich würde sagen: Wenn man sein normales Leben führt, Hobbys hat, Freunde trifft und abends ein, zwei Stunden vor Instagram hockt, ist das vermutlich nicht schädlich."
Zeit alleine kein Faktor
Nur darauf zu schauen, wie viel Zeit wir bei Instagram, Tiktok und Co. verbringen, ist auch nicht besonders aussagekräftig hinsichtlich der Frage, ob uns Social Media schadet, sagt Psychologe und Neurowissenschaftler Christian Montag von der University of Macau. Es gehe auch darum, was wir dort machen.
Bei anderen Abhängigkeiten, zum Beispiel der Computerspielsucht, wird etwa überprüft, ob das auch mit einem gewissen Kontrollverlust einhergeht. Betroffene wollen weniger zocken, schaffen das aus eigener Kraft aber nicht. Auch die Frage nach der Priorisierung spielt eine Rolle. In dem Fall würde das Computerspielen über andere Aufgaben gestellt werden. Inwiefern diese Kriterien für solch eine Sucht auf eine exzessive Social-Media-Nutzung angewendet werden können, werde aktuell erforscht.
"Alleine die Zeit, die man online verbringt, ist kein besonders scharfes Kriterium, weil es auch darauf ankommt, was man dort macht."
Offline sein
Christian Montag geht davon aus, dass die meisten User kein ausgeprägtes Suchtproblem haben, wenn es um Social Media geht. Um aber weniger Lust auf endloses Scrollen zu haben, gibt es Strategien, die helfen können, sagt er.
- Graumodus auf dem Handy aktivieren: So sehen wir alles in Schwarz-weiß-Tönen. Das soll den Effekt haben, dass Inhalte weniger interessant für uns sind.
- Pushnachrichten und Lesebestätigungen ausstellen: Das wirkt zum Beispiel FOMO entgegen und nimmt den Druck, zu reagieren.
- Auf Armbanduhr und Wecker setzen: Funktionen, die auch ohne Handy möglich sind, wieder in den Alltag integrieren. Wenn wir eine analoge Uhr am Arm tragen, vermeiden wir den Griff zum Handy, um dort die Zeit zu checken und dann dort hängenzubleiben.
"Ein bisschen ist es ein ständiger Kampf mit sich selbst."
Zarah hat auch Wege gefunden, um mehr Zeit ohne Handy zu verbringen. In ihrem Flur gibt es zum Beispiel einen festen Platz für ihr Smartphone. Wenn sie das nicht braucht, legt sie es dort in eine Schale. So vermeidet sie, dass sie ohne konkreten Anlass ihr Handy checkt. Das läuft mal besser, mal schlechter. Aber Zarah ist dran – und sie hat es geschafft, dass sie beim Kochen vergisst, dass es ihr Handy überhaupt gibt.
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