Anhänger von Brasiliens Ex-Präsident Bolsonaro haben am 8. Januar Regierungsgebäude in der Hauptstadt Brasilia gestürmt. Mit einer Radikalisierung sei zu rechnen gewesen, meint die Brasilien-Expertin Katharina Fietz, aber von einem Putschversuch würde sie nicht sprechen.
Die Angriffe auf die Regierungsgebäude in der brasilianischen Hauptstadt Brasilia waren sehr symbolisch, sagt Katharina Fietz vom German Institute for Global and Area Studies (Giga Institut) in Hamburg. Die Fachfrau für Brasilien erklärt, dass die Situation im Land schon seit der Wahlniederlage des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro Ende Oktober 2022 sehr angespannt war, Ausschreitungen wurden befürchtet.
Trotz Hinweisen auf Eskalation große Überraschung
Auch bei der Amtseinführung des neuen Präsidenten Lula da Silva am 1. Januar habe man mit einer Eskalation gerechnet. Dass es nun am 8. Januar zu dem Sturm auf die Regierungsgebäude kam, sei für die Weltgemeinschaft doch überraschend gewesen, meint Katharina Fietz. Obwohl es Tage zuvor entsprechende Hinweise gab.
In den nächsten Tagen müsse es die Aufgabe der Behörden sein, die Rolle der Polizei und der lokalen Sicherheitskräfte aufzuarbeiten, so die Brasilien-Fachfrau.
"Die Angriffe auf die Regierungsgebäude in Brasilien waren natürlich sehr symbolisch."
Die Radikalisierung sei durchaus geplant gewesen. "Aber ich würde nicht so weit gehen, von einem Putsch zu reden", sagt Katharina Fietz. Schon seit Monaten haben Bolsonaro-Anhänger*innen vor den Regierungsgebäuden in Brasilia gecampt und behauptet, die Wahl sei gestohlen worden. Sie forderten einen Militärputsch.
Vom 6. Januar an seien dann immer mehr Busse mit Demonstrierenden in der Hauptstadt angekommen, die sich dem Protest-Camp angeschlossen hätten. Aus dieser Menge der Demonstrierenden heraus sei dann eine Gruppe von radikalisierten Bolsonaro-Anhängern und -Anhängerinnen auf die Regierungsgebäude zugestürmt.
Aufarbeitung der Hintergründe zur Eskalation in Brasilia
Inzwischen sind 1500 Menschen vorläufig festgenommen worden. Jetzt müsse man fragen: Wer steckt hinter dieser Gruppe? Warum war die Polizei schlecht vorbereitet und unterbesetzt?
Laut unserer Korrespondentin Paula Kersten in Brasilien hat der Oberste Gerichtshof den Gouverneur des Bezirks Brasilia für 90 Tage seines Amtes enthoben, weil er trotz deutlicher Hinweise untätig geblieben sei.
Präsident Lula da Silva wolle auch den Sicherheitschef von Brasilia, Anderson Torres, entlassen, weil dieser trotz vorliegender Informationen über die Demonstrationen keine Verstärkung angefordert hat. Torres war unter Bolsonaro Justitzminister des Landes.
Welche Rolle spielt Bolsonaro?
Katharina Fietz meint, man müsse auch nach der Rolle des ehemaligen Präsidenten hinsichtlich der Eskalation sprechen: Bolsonaro hatte sich Ende Dezember nach Florida in den USA abgesetzt. Nun würde darüber spekuliert, ob er das absichtlich gemacht habe, um sich von den Protesten distanzieren zu können. Jair Bolsonaro habe lange zu der Eskalation geschwiegen und diese dann erst spät auf Twitter verurteilt.
"Klar ist jedoch auch, dass Bolsonaros Rhetorik in den letzten Wochen, Monaten und auch Jahren als Präsident definitiv zur Spaltung des Landes beigetragen hat."
Für die Brasilien-Expertin ist klar, dass Jair Bolsonaro in seiner Amtszeit zur Spaltung Brasiliens beigetragen habe. Aber auch dazu, dass die Situation am 8. Januar im Regierungsviertel in Brasilia eskaliert ist. Er habe die Institutionen infrage gestellt, die Wahl seines Nachfolgers angezweifelt und war nicht bei dessen Amtseinführung dabei, "wie es eigentlich Tradition in Brasilien ist", so Katharina Fietz.
Paula Kersten berichtet, dass Jair Bolsonaro in den über 27 Jahren, in denen er dem Nationalkongress angehört hat, die Militärdiktatur von 1964 bis 1985, deren Repression und Folter verteidigt habe und immer wieder das System der Demokratie in Zweifel gezogen habe. Außerdem habe er wohlwollend über den Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 geäußert. Vieles an dem Sturm auf das Regierungsviertel in Brasilia erinnert an die Erstürmung des Kapitols.
"Diese Jahre mit und unter Bolsonaro haben wirklich tiefe Risse in der Gesellschaft hinterlassen."
Der Angriff auf das Regierungsviertel sei auch ein Angriff auf die Demokratie gewesen, zitiert Paula Kersten die öffentliche Meinung. Präsident Lula da Silva wolle nun mit aller Härte der Gesetze dagegen vorgehen. Bolsonaro-Anhänger*innen hätten in Chatgruppen zu weiteren Protesten aufgerufen.
Aus Sicht von Katharina Fietz sei für die kommenden Monate offen, welche Folgen die Eskalation nach sich ziehe und wie Präsident Lula da Silva es gelinge, die Spaltung des Landes zu überwinden. In Brasilien gebe es Menschen, die weder auf der Seite der Bolsonaro-Anhänger stünden noch Lula-Anhängerinnen seien. Nach dem Sturm auf die Regierungsgebäude könnte es sein, dass sich diese Menschen eher dem Lula-Lager zuordnen und eine deutlichere Abgrenzung zu den Bolsonaro-Anhänger*innen stattfindet, meint Katharina Fietz.