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Menschen in Armut gehen seltener wählen als Bessergestellte. Gründe dafür gibt es viele und die starten einen Teufelskreis. Denn: Politiker sehen wenig Stimmenpotenzial bei Betroffenen. Dadurch werden ihre Themen aber auch nicht beachtet.

Vorgezogene Neuwahlen in Deutschland bedeuten, dass der Wahlkampf bereits läuft. Vieles wird sich in den kommenden Wochen auch um Themen wie Armut und soziale Ungleichheit drehen.

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In Deutschland gelten circa 14 Millionen Menschen als arm. Arm ist, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens verdient – für Alleinstehende sind das unter 1.250 Euro netto im Monat. Die Armutsquote stieg lange an, sank zuletzt leicht, bleibt jedoch auf hohem Niveau, so der Sozialwissenschaftler René Böhme vom Institut für Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen.

Armut – politische Agenda von anderen Themen bestimmt

Ein Grund dafür ist, dass Themen, die Menschen in Armut interessieren, eine viel geringere Wahrscheinlichkeit haben, auf die politische Agenda zu kommen als Themen, die eher die Mittelschicht interessieren, meint der Sozialwissenschaftler. Dazu komme Resignation, wenn sich die Lebenslage länger nicht verbessert hat: Warum wählen, wenn sich ohnehin nichts ändert?

"Themen, die Menschen in Armut interessieren haben eine sehr viel geringere Wahrscheinlichkeit auf die politische Agenda zu kommen."
René Böhme, Sozialwissenschaftler

Wenn Menschen in Armut weniger wählen gehen, stelle sich die Frage, ob es sich lohnt, ihre Interessen im Wahlkampf zu vertreten, da diese Gruppen wenig Wählerstimmen bringen. Zudem engagieren sich arme Menschen seltener politisch und sind weniger in Parteien vertreten, was den Bezug der Politik zu benachteiligten Lebenslagen verringere.

Armut in Deutschland: Betroffene sind frustriert

Von Armut betroffene Menschen interessieren sich für politische Themen, erkennen sie aber oft nicht als politisch, meint René Böhme. Probleme wie zum Beispiel die Wohnungsnot seien auch durch politische Entscheidungen entstanden – etwa der Schuldenabbau durch Verkauf von Wohnungsbeständen.

Es müsse stärker betont werden, dass solche Alltagsthemen politisch veränderbar sind. Es sei aber auch so, dass Betroffene aufgrund ihrer Alltagssorgen oft keine Kapazität hätten, sich politisch mit dem Thema Armut zu befassen.

Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2023 zeigt: Je ärmer ein Stadtteil oder Wahlkreis ist, umso weniger Menschen machen von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Helena Steinhaus arbeitet beim Verein Sanktionsfrei, der sich für eine menschenwürdige Grundsicherung einsetzt. Der Verein unterstützt Menschen finanziell und bietet auch juristische Hilfe an.

"Die Menschen erleben seit Jahren, dass egal, wer in der Regierung ist, sich für sie nichts zum Besseren verändert."
Helena Steinhaus, Verein Sanktionsfrei

Viele Menschen, die von Armut betroffen sind, seien frustriert. "Sie erleben seit Jahren, dass egal, wer in der Regierung ist, sich für sie nichts zum Besseren verändert. Und das auf allen möglichen existenziellen Ebenen“, sagt Helena Steinhaus. Sie hätten Angst, ihre Wohnung zu verlieren, weil sie die Miete kaum stemmen können, sie sorgen sich um Stromrechnungen, ihre Kinder, um ihre Zukunft.

In den wichtigsten Bereichen ihres Lebens seien von Armut betroffene Menschen einer Politik ausgeliefert, die ihre Situation seit Jahren nicht nennenswert zum Besseren verändert habe. Auch die Bürgergeldreform habe im Vergleich zu Hartz IV nicht viel gebracht. Oft hätten Empfänger nicht die Möglichkeit, zeitnah aus der Abhängigkeit herauskommen, da sie aus verschiedenen Gründen nicht arbeitsfähig sind. Sie fühlen sich machtlos und ungerecht behandelt, haben Angst, dass sich ihre ohnehin schlechte Lebenssituation weiter verschlechtert, sagt Helena Steinhaus.

Klimapolitik zu Lasten einkommensschwacher Menschen

Der Sozialwissenschaftler Frank Böhme erwartet, dass das Thema soziale Ungleichheit bei der kommenden Bundestagswahl eine zentrale Rolle spielen werde – besonders im Kontext der sozial-ökologischen Transformation. Es wird über die Klimaziele diskutiert, doch die Klimapolitik der letzten Jahre habe besonders einkommensschwache Menschen belastet, sagt er.

Der CO2-Preis verteuert Energie, doch benachteiligte Menschen hätten nicht die finanziellen Möglichkeiten, etwa auf emissionsfreie Heizungen oder E-Mobilität umzusteigen. Sie haben kein Nettovermögen und können daher nicht von Förderungen profitieren, die darauf ausgerichtet sind, einen gewissen Eigenanteil einzubringen. "Das ist eine Förderung, die an der Hälfte der Bevölkerung vorbeigeht", so Rene Böhme. Solche Themen müssten stärker berücksichtigt werden.

"Wir brauchen auch Förderinstrumente, die Menschen mit geringem Einkommen mitnehmen."
René Böhme, Sozialwissenschaftler

Es sei wichtig, mehr Sensibilität für soziale Fragen zu entwickeln. Ein Beispiel sei die Diskussion um Bürgergeldbetrug: 2022 verursachte dieser Betrug rund 272 Millionen Euro Schaden, während Steuerhinterziehung mit bis zu 100 Milliarden Euro weitaus größer ist, so René Böhme.

Der Bürgergeldbetrug im öffentlichen Diskurs sei übertrieben betont. "Wir brauchen Kompensationsinstrumente für Menschen mit geringem Einkommen. Und wir brauchen auch Förderinstrumente, die Menschen mit geringem Einkommen mitnehmen", fordert René Böhme.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

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  • Moderatorin: Rahel Klein
  • Gesprächspartner: René Böhme, Sozialwissenschaftler
  • Gesprächspartnerin: Helena Steinhaus, Verein Sanktionsfrei