Das Nouruz- oder Neujahrs-Fest ist das wichtigste Fest im Iran. Zwei Wochen lang wird ausgiebig gefeiert. Doch in diesem Jahr ist niemand auf den Straßen - wegen der Coronavirus-Epidemie. Die Menschen haben Angst zu sterben. Vor allem im Krankenhaus, denn dort ist die Lage katastrophal.

Das Neujahrs- oder Nouruz-Fest im Iran ist vergleichbar mit unserem Weihnachtsfest. Es dauert zwei Wochen. Die Menschen haben frei, alle sind im Land unterwegs und feiern. In der über Acht-Millionen-Einwanderer-Stadt Teheran sind dann die Straßen verstopft. Nichts geht mehr. So beschreibt ARD-Korrespondentin Natalie Amiri die Situation im Land während des Festes - unter normalen Bedingungen.

"Das Nouroz-Fest ist das einzige nicht religiöse Fest im Iran und gleichzeitig das wichtigste."
Natalie Amiri, ARD-Korrespondentin in Teheran

In dieser Zeit fahren die Familien zu Verwandten und feiern gemeinsam. Doch in diesem Jahr ist alles anderes - wegen der Coronavirus-Pandemie, sagt Natalie Amiri. Normalerweise berichtet sie aus der Hauptstadt Teheran. Jetzt beobachtet sie die Lage im Iran von Deutschland aus.

"Die Stimmung ist sehr betrübt, die Menschen sitzen alleine in ihren Wohnungen."
Natalie Amiri, ARD-Korrespondentin in Teheran

Die meisten bleiben in ihren Wohnungen. Eine Ausgangssperre gibt es im Iran nicht. Die Stimmung sei sehr deprimierend, sagt die Korrespondentin.

Bevölkerung misstraut Regierung

Im Iran ist das Coronavirus Sars-CoV-2 im Februar zum ersten Mal aufgetreten. Die Regierung hat aber über die Coronavirus-Pandemie erst spät informiert. Das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Regierung ist groß und so schützen sich die Menschen selbst, indem sie zu Hause bleiben.

Supermärkte, Bazars und Apotheken haben noch geöffnet, Kinos und Theater sind geschlossen, am 21. März wurde angeordnet, dass auch Restaurants schließen müssen, berichtet Natalie Amiri. Clubs und Bars gibt es im Iran ohnehin nicht.

Nach offiziellen Angaben der iranischen Regierung sind über 21.000 Menschen infiziert und 1685 an Covid-19 gestorben. Aktuelle Zahlen veröffentlicht die Johns Hopkins Universität.

Dunkelziffer fünfmal so hoch

Allerdings geht die WHO, die erst kürzlich mit einer Delegation im Iran war, vom Fünffachen dieser Angaben aus. Der Grund: In Teheran werden nur diejenigen auf das Coronavirus getestet, die ins Krankenhaus gehen. Daher ist das Verhältnis Infizierte zu Toten viel höher als in anderen Ländern. Die Sterberate im Iran liegt bei rund 18 Prozent, in China nur bei 3 Prozent. Das legt den Schluss nahe, dass die Dunkelziffer an Infizierten sehr viel höher ist, als die staatlichen Angaben.

"Die Krankenhäuser haben das überhaupt nicht im Griff. Die Situation ist katastrophal."
Natalie Amiri, ARD-Korrespondentin in Teheran

Im Iran mangelt es an Ausstattung mit medizinischen Produkten: Schutzkleidung, Masken, Hygienemittel, Beatmungsgeräte. "Über zwei Dutzend Ärzte sind im Iran bereits an Covid-19 gestorben, weil sie Patienten behandelt haben, ohne sich schützen zu können", sagt die Korrespondentin.

Katastrophale medizinische Ausstattung der Krankenhäuser

Der Iran verfüge zwar über hervorragende Ärzte, aber über zu wenig Material und Ausstattung. Das liegt zum Teil an den US-Sanktionen gegen den Iran. Die erstrecken sich zwar nicht auf medizinische Güter, aber der Transaktionsverkehr funktioniere nicht, sagt Natalie Amiri, weil das Land vom Swift-System ausgeschlossen ist.

Der iranische Außenminister Dschawad Sarif hat einen internationalen Hilfeaufruf gestartet und an die internationale Gemeinschaft eine Liste mit fehlenden Produkten geschickt. Als Erste hat die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen aus Frankreich Material in den Iran geschickt. Aber das sei zu wenig, denn es fehle einfach an allem. Die Lage sei so dramatisch, dass Krankenhauspersonal und Ärzte nicht mehr in den Krankenhäusern arbeiten wollten, weil sie sich selbst nicht schützen könnten, berichtet Natalie Amiri.

"Viele der Krankenschwestern und Ärzte sagen, wir gehen nicht mehr ins Krankenhaus, weil wir uns selbst nicht schützen können und sterben werden."
Natalie Amiri, ARD-Korrespondentin in Teheran

Die Bevölkerung ist wegen der Lage im Land sauer auf die Regierung, aber das war sie auch schon vorher, erklärt Natalie Amiri. Spätestens, als Anfang des Jahres ein ukrainisches Passagierflugzeug vom iranischen Militär abgeschossen wurde, und die Regierung versuchte, das zu vertuschen, hätten selbst Befürworter des Regimes das Vertrauen verloren.

Bevölkerung vertraut nur noch auf sich selbst

Seit dieser Lüge der Regierung ist ein großer Vertrauensbruch durch die Gesellschaft gegangen, sagt Natalie Amiri. Jetzt, in der Corona-Krise, spiegele sich das wider: Die Bevölkerung erwarte gar nichts mehr von der Regierung oder dem Regime.

"Die Iraner vertrauen nur noch auf sich selber. Sie wissen, wenn sie einmal im Krankenhaus sind, sind sie eigentlich schon tot."
Natalie Amiri, ARD-Korrespondentin in Teheran

Die Bevölkerung vertraue inzwischen nur noch auf sich selbst. Deshalb blieben alle zuhause. Wer ins Krankenhaus muss, fürchte, nicht mehr lebend herauszukommen.

Shownotes
Coronavirus-Pandemie
Niemand feiert das Neujahrsfest im Iran
vom 23. März 2020
Moderator: 
Markus Dichmann
Gesprächspartnerin: 
Natalie Amiri, ARD-Korrespondentin in Teheran