Der Mensch kann andere leichter unterscheiden, wenn diese seine Hautfarbe haben. Dieser Effekt lässt sich bereits auf einer frühen Ebene der Wahrnehmung nachweisen – verhalten können wir uns trotzdem anders.

Es fällt uns schwerer, Menschen zu identifizieren, die eine andere Hautfarbe haben. Das ist der Other-Race-Effect oder Cross-Race-Effect. Die Studie eines Teams von Psychologinnen und Psychologen der Uni Stanford kommt im Fachmagazin PNAS zu dem Ergebnis, dass das daran liegen könnte, wie wir Menschen sehen und diese Information verarbeiten.

Für ihre Studie hat das Team 20 hellhäutige Personen getestet – eine ziemlich kleine Gruppe. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bekamen Fotos von Menschen mit weißer und mit schwarzer Hautfarbe gezeigt, während ihre Gehirnaktivität per Magnetresonanztomographie dokumentiert wurde.

Beschränkte Wahrnehmung

Bei fast allen Teilnehmenden war das Gehirn in den Bereichen für die Gesichtserkennung aktiver, wenn sie Fotos von weißen Personen sahen – egal ob als Einzelperson oder in Gruppen. Die Forschenden halten es damit für erwiesen, dass Menschen, Personen aus einer anderen ethnischen Gruppe auf einer sehr frühen Ebene der Wahrnehmung weniger spezifisch und individuell wahrnehmen.

"Der Cross-Race-Effect ist schon lange bekannt – Menschen achten automatisch immer auf die Merkmale, in denen sich Individuen unserer eigenen ethnischen Gruppe am deutlichsten unterscheiden."
Verena von Keitz, Deutschland-Funk-Nova-Reporterin

Unterscheidungsfähigkeit ist bei Menschen innerhalb der eigenen ethnischen Gruppe feiner ausgeprägt als außerhalb. Hellhäutige unterscheiden beispielsweise besonders anhand der Haarfarbe, dunkelhäutige Menschen dagegen eher anhand der Tönung der Haut.

Diese Merkmalsunterschiede sind bei unterschiedlichen Ethnien verschieden stark ausgeprägt. Wenn eine weiße Person bei einer schwarzen oder asiatischen Person auf die Merkmale guckt, die bei weißhäutigen Menschen besonders unterschiedlich sind, dann erscheinen sie eben eher gleich.

Verwechslung statt Identifikation

Eine Vielzahl von Studien zeigt, dass Menschen einander unbewusst nach äußeren ethnischen Merkmalen in Gruppen einordnen. Die Autorin und Bloggerin Min Thu Tran hat einen asiatischen Migrationshintergrund – wie ihre Freundin Vanessa Vu auch. Min Thu beschreibt, dass sie erstaunlich oft mit ihrer Freundin verwechselt wird.

"Selbst Leute, die wir beide kennen und die wir auch mehrere Male unabhängig voneinander getroffen haben, haben uns verwechselt."
Min Thu Tran, Autorin und Bloggerin

Diese eingeschränkte Unterscheidungsfähigkeit lässt also nicht automatisch auf eine rassistische Einstellung schließen. Sie läuft unterbewusst ab. Trotzdem kann der Other-Race-Effect für Menschen, die anders aussehen als die Mehrheitsgesellschaft, zu Problemen führen.

Tahir Della ist für die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland tätig. Er selbst hat schon erlebt, dass er bei Kontrollen verwechselt wurde. Dies kann sich auf den genannten Effekt zurückführen lassen.

"Also ich bin schon mal am Bahnhof von der Polizei angesprochen worden: 'Sie sind eben schon mal hier durchgelaufen.' Ich war es de facto nicht. Es war klar, dass er mich einfach verwechselt."
Tahir Della, Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland

Wer sich bewusst macht, dass es den Other-Race Effect gibt, kann tatsächlich die eigene Fähigkeit, Menschen einer anderen Ethnie zu unterscheiden, verbessern. Hilfreich ist es auch überhaupt, mit verschiedenen Menschen unterschiedlicher Hautfarben in Kontakt zu sein. Auch das trainiert die Unterscheidungsfähigkeit. Tahir Della wünscht sich in dem Punkt mehr Aufmerksamkeit und Bewusstsein.

"Halt nicht davon ausgehen, dass schwarze Menschen alle gleich aussehen. Ich glaube diesen Blick kann man schärfen und trainieren."
Tahir Della, Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland

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Shownotes
Other-Race-Effect
Die anderen sind ein bisschen ähnlicher
vom 02. Juli 2019
Moderator: 
Thilo Jahn
Gesprächspartnerin: 
Verena von Keitz, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin