In der Gesellschaft herrsche eine breite Gewaltkultur, sagt der KonfliktorscherAndreas Zick von der Uni Bielefeld. Gewaltbereite nehmen Menschen, die für die Gesellschaft arbeiten, als Dienstleister wahr. Seiner Meinung nach können Gesetzesänderungen das Problem der Gewaltkultur in Deutschland nicht lösen.

Die jüngsten Angriffe auf Politiker*innen, wie Matthias Ecke und Franziska Giffey (beide SPD) haben das Thema in den Fokus gerückt: Gewaltbereitschaft gegen Menschen, die sich in einer Demokratie engagieren. Neu ist dieses Phänomen, das sich nicht auf physische Gewalt beschränkt jedoch nicht, sagt Andreas Zick, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld.

Täter der Angriffe auf Politiker*innen werden harte Strafen erhalten

Dass schärfere Gesetze, wie sie unter anderem aus Teilen der Unionsparteien gefordert werden, die Probleme lösen können, glaubt Andreas Zick nicht. "Wir haben das Bundesgesetzbuch. Das reicht völlig aus. Der Ruf nach schärferen Gesetzen verpufft und schreckt Täterinnen und Täter nicht ab", sagt er und verweist auf Studien, die zeigten, dass eine Verschärfung der Gesetze nichts gegen die Gewaltbereitschaft einiger Bürger*innen ausrichten kann.

Die Täter der jüngsten Angriffe werden harte Strafen erhalten, sagt der Forscher. Zugleich richtet er seinen Blick in die Zukunft. Andreas Zick sagt: "Wir wissen überhaupt nicht, was nach den Strafen mit den Tätern passiert. Es braucht andere Pakete, um mögliche Nachahmer abzuschrecken." Überparteiliche Kampagnen, die das Problem Gewaltbereitschaft angehen, begrüßt Andreas Zick. Er meint, dass Parteien den Wahlkampf im Hinblick auf anstehende Abstimmungen außen vorlassen sollten.

"Es gibt Kommunen und Kreise, von denen wir wissen, dass Rechtextreme vor Ort sind. Wir brauchen Schutz für jene, die ein höheres Risiko haben. Es gibt dort eine polarisierte Konstellation zwischen Linken und Rechten."
Andreas Zick, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld

Bereits in der Mitte-Studie von 2023 kam heraus, dass die Billigung von rechtsextremen Positionen in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, sagt Andreas Zick. Demnach finden 13 Prozent der Befragten, dass Gewalt ein legitimes Mittel ist, um eigene Interessen durchzusetzen. Diese Einstellung motiviere Straftäterinnen und Straftäter, weil sie denken, Gewalt sei jetzt angesagt. Die Gesellschaft sei konfrontiert mit Gruppengewalt, sagt der Konfliktforscher. Wir brauchen langfristig andere Lösungsansätze, sagt Andreas Zick.

Der Direktor am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung erinnert an Vorfälle aus der Vergangenheit. 2015 erlebte die designierte Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) ein schweres Attentat. 2019 wurde Walter Lübke (CDU) von Rechtsextremen hingerichtet. Andreas Zick sagt: "In vielen Regionen erleben wir massive Gewalt. Wir brauchen einen längeren Plan, um das aufzuhalten."

Vor vielen Jahren startete der Dialog zwischen Wissenschaft und Ministerien. Seither durchlebt Deutschland eine Welle der Gewalt gegen Polizei, gegen Rettungsdienste, Gewalt in Krankenhäusern. Menschen, die in Institutionen sitzen und sich für andere engagieren, erleben Pöbeleien, Einschüchterungen und Beschimpfungen.

Gewaltbereitschaft steckt andere an

"Viele Menschen denken, das andere, die sich für die Gesellschaft engagieren eine Dienstleistung ausüben. Das gleiche wird über Politiker gedacht. Die müssen etwas für mich tun."
Andreas Zick, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld

Die Akzeptanz von Gewalt gegenüber diesen Menschen sei gestiegen, "weil wir uns keine Gedanken mehr darüber machen, was sind das eigentlich für Menschen, die in diesen Institutionen arbeiten?", so Andreas Zick.

Der Konfliktforscher sagt, dass ein Busfahrer nicht nur ein Busfahrer sei. Er müsse gucken, dass in seinem Bus alles läuft. Er lerne, dass er handeln muss, wenn Leute angegriffen werden. Dass ein Busfahrer auch dafür verantwortlich ist, werde von einigen gar nicht gesehen.

Dass dies viele Leute verdrängen, ist die Ursache für ein Phänomen, das Wissenschaftler*innen als Verrohung der Gesellschaft bezeichnen. "Das erleichtert Gewalt und steckt auch andere an", so Andreas Zick, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld.

Shownotes
Gesellschaft
Demokratie: Gewalt gegen Politiker – was wir dagegen tun können
vom 10. Mai 2024
Moderation: 
Jenni Gärtner
Gesprächspartner: 
Andreas Zick, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld