Wissenschaftsgeschichte

Wo es Rassen gibt und wo nicht

Niemand darf wegen seiner Rasse benachteiligt oder bevorzugt werden, sagt das Grundgesetz (noch) in Artikel 3, Absatz 3. Damit soll Diskriminierung ausgeschlossen werden. Veronika Lipphardt, Biologin und Wissenschaftshistorikerin, sagt: Der Begriff "Rasse" gehört da nicht hin.

Alle Jahre wieder gibt es eine Diskussion um Artikel 3 im deutschen Grundgesetz. Dieser Artikel besagt in drei Absätzen, dass Menschen gleich zu behandeln sind. Die Kritik an Artikel 3 zielt nicht auf diesen sogenannten Gleichheitsgrundsatz, sondern auf die Wortwahl. Das Grundgesetz spricht von "Rasse". Darin spiegelt sich der Wille, das Grundgesetz gegen den im Nationalsozialismus ausgelebten Rassenwahn zu immunisieren.

"Aus meiner Sicht ist der Begriff 'Rasse' im Grundgesetz obsolet. Er suggeriert, dass 'Rasse' derselbe Realitätsstatus zukommt wie 'Sprache' oder 'Glauben'."
Veronika Lipphardt, Wissenschaftshistorikerin, Universität Freiburg

Im Oktober 2020 hat die Bundesregierung beschlossen, den Begriff aus dem Grundgesetz zu entfernen. Der Schutz vor rassistischer Diskriminierung soll aber gewahrt bleiben. Wie das zu verankern wäre, muss noch geklärt werden.

Was "Rasse" bedeutet

Anlass für uns, nachzuvollziehen, was das Wort "Rasse" eigentlich meint. Wer nimmt diese Einteilung vor, anhand welcher Kriterien? Laut Wissenschaftshistorikerin Veronika Lipphardt ist schon lange klar: Menschenrassen gibt es nicht. Allerdings halte sich diese Annahme hier und da hartnäckig, auch da, wo Rassismus offiziell eine Absage erteilt werde. Gerade im Bildungsbereich habe die Idee, die Menschheit ließe sich unterteilen, Spuren hinterlassen.

"So finden sich in deutschsprachigen Schulbüchern, Lexika und Atlanten bis in die frühen 1990er-Jahre Wissensbestände, in denen immer noch von vier oder fünf sogenannten 'Großrassen' die Rede ist."
Veronika Lipphardt, Wissenschaftshistorikerin, Universität Freiburg

Lipphardt lässt in ihren Vortrag Erkenntnisse der Populationsgenetik einfließen und sie verhält sich zur Debatte um Aussagen des Genetikers David Reich. Sie schließt sich der Jenaer Erklärung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft und des Instituts für Zoologie und Evolutionsforschung der Friedrich-Schiller-Universität Jena aus dem Jahr 2019 an, wonach "der Nichtgebrauch des Begriffes Rasse heute und zukünftig zur wissenschaftlichen Redlichkeit gehören sollte".

"Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung."
Jenaer Erklärung, 10. September 2019

Lipphardts Vortrag führt unterschiedliche Perspektiven zusammen. Er nähert sich dem Begriff "Rasse" aus folgenden Richtungen:

  1. Gegenargumente
  2. historische Perspektive
  3. biologische Perspektive
  4. gesellschaftliche Konsequenzen

Veronika Lipphardt ist Professorin für Wissenschaft und Technik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sie forscht zu Wissenschaftsgeschichte und Populationsgenetik. Ihren Vortrag "Gibt es Menschenrassen?" hat sie für uns am 23. Oktober 2020 an ihrer Universität aufgenommen.

Korrektur: Unsere Rednerin wies uns daraufhin, dass sie in ihrem Vortrag einem weit verbreiteten Irrglauben aufgesessen ist. Sie sagt in ihrem Vortrag an einer Stelle, die Menschen des Mittelalters hätten geglaubt, dass die Erde eine Scheibe sei. Das ist nicht wahr. In dieser Aussage spiegelt sich vielmehr die in der Neuzeit einsetzende Abwertung des "dunklen Mittelalters".

Shownotes
Wissenschaftsgeschichte
Wo es Rassen gibt und wo nicht
vom 28. November 2020
Moderation: 
Katja Weber
Vortragende: 
Veronika Lipphardt, Professorin für Wissenschaft und Technik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg