Bewerbungen werden immer aufwendiger, gerade da, wo die Aussicht auf Erfolg gering ist. Wir machen uns Stress und pendeln zwischen zwei Polen: das Geheimnis der perfekten Bewerbung zu lüften. Und der Angst, dass das alles eh nichts bringt.

2661.000 Menschen waren im Juli 2016 laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit arbeitslos gemeldet. Davon allein 177.000 in Berlin. Sie alle suchen einen neuen Job und kämpfen gegen Höhenflüge und Tiefschläge - und schreiben Bewerbungen ohne Ende. Und nach ein paar Fehlschlägen gilt für die meisten: Anschreiben: #würg. Lebenslauf: #igitt. Foto: #bloßnich. Alles der totale Horror - oder doch nicht?

Ellen setzt alles auf eine Karte - es war die falsche

Ellen ist eine von ihnen. Die 31-Jährige sucht seit einem knappen halben Jahr einen Job.

Ellen, arbeitssuchend in Berlin
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Sie hat Germanistik auf Lehramt studiert. Während des Studiums entdeckte sie ihre Leidenschaft fürs Schreiben - und absolvierte ein Volontariat in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Fortan gehörte sie zum Team einer kleinen Künstleragentur in München. Jetzt lebt sie in Berlin.

"Ich bin in Berlin gelandet aufgrund eines Jobs, wollte mich weiterentwickeln. Leider habe ich nicht so lange in dem Job arbeiten können und bin deshalb jetzt auf der Suche nach einer neuen Stelle."
Ellen, Germanistin, 31 Jahre

Ellen checkt jeden Tag die Stellenausschreibungen und schreibt Bewerbungen. Viele Bewerbungen. Sie weiß: Eine Bewerbung soll auffallen, lückenlos und reich an Informationen sein. Sie muss Zeugnisse und Beurteilungen enthalten und das alles knackig zusammengefasst. Mit Foto. Das ist ungefähr das Bild, das wir von einer perfekten Bewerbung haben. Ist sie nicht perfekt, bist du nicht perfekt. Jedenfalls nicht der perfekte Arbeitnehmer. Ein Eindruck wird zum Anspruch und somit unerreichbar: Denn: Was heißt das schon? Perfekt?

Bewerbung in Horrorschrift
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Die perfekte Bewerbung aus Sicht des Stellensuchenden

Auf jeden Fall heißt es für die, die an einer Bewerbung sitzen: Es ist viel Arbeit, manchmal Qual, manchmal geht es auch schnell. Das weiß auch Ellen, die von sich sagt, dass sie die ganze Bandbreite durchgemacht hat.

"Entweder setze ich mich hin, lege total schnell los, habe eine Idee, weiß, wie es aussehen soll. Dann gibt es aber auch wieder Tage, da quält man sich regelrecht, sitzt vor einem weißen Blatt, fängt an, löscht wieder, fängt wieder von Neuem an - und auf einmal ist alles wie weggepustet.“
Ellen, Germanistin, 31 Jahre
Anschreiben in Horrorschrift
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Die perfekte Bewerbung aus Sicht eines Agenturchefs

Wir haben Alex El-Meigi gefragt. Er ist Gründer und Geschäftsführer der Digitalagentur demodern in Köln und Hamburg und erhält regelmäßig Bewerbungen. demodern entwickelt Websites und Apps - und steht für das, was man Zeitgeist nennen könnte. Gesucht werden: Talente.

"Die akademischen Grade sagen wirklich unglaublich wenig darüber aus, ob jemand mit dem Team zusammen funktioniert, welche sozialen Skills er tatsächlich hat."

Neben Talent kommt es Alex auf ein gesundes Selbstbewusstsein an. Ein aussagekräftiges Portfolio ist ihm wichtiger, als ein aussagekräftiges Bewerbungsfoto. Ein probates Mittel, um hinter den Bewerbungstext zu schauen, sind für das Team von demodern außerdem einige Stunden Probearbeit.

Lebenslauf in Horrorschrift
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Die perfekte Bewerbung aus Sicht eines Bewerbungscoaches

Knackige Kurzprofile, ein Fokus auf die Berufserfahrung und das Erwähnen von Hobbys,
darauf legt Britta, Gründerin von dein-lebenslauf.com in Wert. Ein gutes Bewerbungsbild findet sie wichtig. Schere und Glitzerpapier nimmt sie nicht zur Hand.

"Wenn sich dreihundert Leute auf eine Stelle bewerben, dann fallen die zehn, die ein Bewerbungsbild haben, mehr auf. Wichtig ist ein Gesichtsausdruck, der nicht zu verkrampft ist, nicht zu ernst ist, aber dass man auch nicht strahlt, wie ein Honigkuchenpferd."
Britta, Gründerin von dein-lebenslauf.com

Und was macht Ellen?

Ellen hat auch noch nichts gebastelt. Ein Freund von ihr hingegen schon. Der hatte seine Bewerbung auf kleinen Würfeln in einem Karton verbaut. Auch forderte bislang niemand Probestunden von Ellen im Anschluss an die Gespräche. Ellen schreibt, wartet und hofft. Dass es ausreicht. Unterdessen bleibt sie nicht untätig, trifft andere Arbeitssuchende, teilt ihr Fachwissen, baut ihr Netzwerk aus. Ja, manchmal sei die Sache mit den Bewerbungen ein echter Horror, manchmal müsse sie aber auch lachen, über alte Formulierungen in den eigenen Anschreiben. Tatsächlich ist ausgerechnet das größte Problem bei der Sache gleichzeitig auch der größte Trost: sie ist nicht allein!

Shownotes
Wenn Stellen knapp sind
Der Bewerbungshorror
vom 15. August 2016
Moderation: 
Manuel Unger
Gesprächspartnerin: 
Lydia Herms (DRadio Wissen)