Es wird viel über die Wirksamkeit von einzelnen Corona-Maßnahmen diskutiert. So sind auch die nächtlichen Ausgangssperren immer wieder in der Kritik. Wie viel sie wirklich bringen, hängt auch davon ab, wie sehr sie von der Bevölkerung akzeptiert werden.
Dass Ausgangssperren grundsätzlich effektiv sein können, zeigt das Beispiel China: Als zu Beginn der Pandemie in Wuhan tausende neue Fälle auftraten, wurde die Stadt sofort dicht gemacht, und aus jedem Haushalt durfte nur eine Person einmal pro Woche einkaufen gehen – mehr nicht. Die Zahl der Neuinfektionen ist dadurch erfolgreich zurückgegangen, sagt der der Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth.
In Deutschland sei so ein Modell aber nicht vorstellbar. Inwiefern unsere Ausgangssperren dazu beitragen, die Infektionszahlen zu senken, sei bisher nur schwer zu beurteilen. Dass sie aber nicht ganz umsonst sind, ist sicher, sagt er. Denn bei den Ausgangssperren gehe es auch noch um einen anderen Punkt: die Botschaft, die dahinter steckt, und die zeigt, wie ernst die Lage ist.
Ausgangssperren führen zu weniger Mobilität am Abend
Derzeit gibt es in Deutschland nur in Bayern, Baden-Württemberg und in Regionen von Sachsen nächtliche Ausgangssperren. Wie diese eingehalten werden, kann anhand von Telefondaten des Statistischen Bundesamtes überprüft werden. Das Amt wertet seit Dezember stündlich Telefondaten aus, die zeigen, wie weit sich Telefone zu einer bestimmten Zeit im Durchschnitt bewegen, erklärt der Wissenschaftsjournalist.
Laut Jannek Mühlhan vom Statistischen Bundesamt konnte dadurch abgelesen werden, dass in Bayern und Baden-Württemberg die Mobilität deutlich stärker zurückgegangen ist als in anderen Bundesländern. Für Sachsen war die Auswertung schwerer, ergänzt er, da sich die Daten immer auf das ganze Bundesland und nicht einzelne Regionen bezieht.
"In Bayern und in Baden-Württemberg geht nachts die Mobilität deutlich stärker zurück als in anderen Bundesländern."
Studien aus dem Ausland
Ob weniger Bewegung am Abend und in der Nacht auch gleichzeitig weniger Kontakte bedeutet, lässt sich aus den Telefondaten nicht herauslesen. Studien gibt es dazu in Deutschland noch nicht, sagt Volkart Wildermuth. Ein Blick ins Ausland: Eine Studie aus Frankreich habe beispielsweise gezeigt, dass die Ausgangssperren in den einzelnen Departments dazu beitragen konnten, dass die Ausbreitung bei Personen über 60 Jahren in der zweiten Welle in der Tat etwas verlangsamt wurde. Bei den jüngeren Menschen trat der Effekt der Untersuchung zufolge erst bei einem kompletten Lockdown ein.
In den USA, so der Wissenschaftsjournalist, zeigte sich, dass die Ausgangssperren einen Rückgang der Infektionszahlen bewirken konnten, sobald sie wie beispielsweise in Ohio streng genug formuliert wurden. Eine weitere Studie aus dem Fachmagazin Science hat sich die Ausgangssperren in China genauer angesehen und festgestellt, dass es zu weniger Ansteckungen in der Öffentlichkeit kam, dafür aber paradoxerweise zu mehr Infektionen innerhalb der Haushalte, berichtet Volkart Wildermuth.
Die Botschaft hinter der Ausgangssperre zählt ebenfalls
Ganz genau lassen sich diese Studien auf Deutschland sicher nicht übertragen, schränkt er ein. Zudem spiele für die Forschenden neben der Strenge der Regeln und ihrer Durchsetzung noch ein weiterer Faktor eine wichtige Rolle: die Akzeptanz der Menschen. Denn eine Ausgangssperre signalisiert nicht nur ein konkretes Verbot, sondern auch, dass die Situation, in der wir uns befinden, ernst zu nehmen ist, sagt Volkart Wildermuth.
"Eine Einschränkung wie eine nächtliche Ausgangssperre verhindert nicht nur, dass man nachts rausgeht. Sie zeigt auch: Es ist ernst! Und das kann das Verhalten generell beeinflussen."
Welche Rolle die Akzeptanz spielt, zeigt ein Vergleich der Telefondaten des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 und des zweiten Lockdowns im Dezember 2020: Während beim ersten Lockdown die Mobilität um 40 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren zurückging, ging sie im Dezember nur noch um 15 Prozent zurück, berichtet Volkart Wildermuth.
Jannek Mühlhan vom Statistischen Bundesamt konnte zusätzlich sehen, dass die Menschen vor allem längere Reisen über 30 Kilometer abgesagt hatten, vor allem in Kreisen, die viele Infektionszahlen verzeichnet hatten. Ob hier die 15-Kilometer-Regel eine zusätzliche Wirkung zeigt, lässt sich aus den Daten bisher nicht ablesen.
Mehr Studien parallel zu Corona-Maßnahmen
Die Einführung von bestimmten Maßnahmen sei für die Politik immer ein Balance-Akt zwischen der Bekämpfung der Pandemie und dem Respektieren der Grundrechte, sagt Volkart Wildermuth. Juristisch gesehen gehe es immer um die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme. Doch diese einzuschätzen, sei nicht immer leicht, sagt der Jurist Alexander Thiele. Zwar müsse die Politik die Einführung von neuen Maßnahmen begründen, sie müsse aber nicht vorab belastbare Studien vorlegen und habe damit immer etwas Handlungsspielraum.
Aus juristischer Sicht wäre es daher sinnvoll, neben der Einführung einer bestimmten Maßnahme immer eine entsprechende Studie dazu in Auftrag zu geben. Das passiert aktuell aber eher selten.