Jetzt steht es fest: Der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny ist "zweifelsfrei" vergiftet worden. Das haben toxikologische Untersuchungen der Bundeswehr ergeben. Laut Bundesregierung handle es sich um einen militärischen Nervenkampfstoff, mit dem bereits der russische Ex-Agent Skripal vergiftet wurde.

Was wirklich passiert ist am Flughafen in Sibirien, an dem der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny einen Tee getrunken hat und kurze Zeit später im Flugzeug zusammengebrochen ist, ist noch immer nicht geklärt.

Doch jetzt steht zweifelsfrei fest: Er ist mit einem chemischen Nervenkampfstoff vergiftet worden. Das hat die Bundesregierung verkündet. Ein Forschungsteam der Bundeswehr haben erneut Proben untersucht und konnten das Gift aus der Gruppe der Nowitschok-Mittel nachweisen.

"Dass es militärischer Nervenkampfstoff ist, das ist dann doch eine ganz neue Komponente."
Marc-Michael Blum, Experte für Chemiewaffen

Das es sich um ein militärisches Nervengift handele, sei eine überraschende neue Komponente in dem Fall, sagt Marc-Michael Blum. Er ist Experte für Chemiewaffen und kennt sich mit den Nowitschok-Giften aus: 2018 hat er für die Organisation für das Verbot Chemischer Waffen den Anschlag auf den russischen Ex-Agenten Sergej Skripal und dessen Tochter untersucht. Die beiden konnten damals den Giftangriff überleben.

Lange im Blut nachweisbar

Nach dem Gift müsse explizit im Blut gesucht werden, sagt der Experte. Eine Liste mit den "üblichen Verdächtigen" werde bei solchen Untersuchungen abgearbeitet. Das Gift bleibe sehr lange im Blut erhalten und könne durch ein analytisches Verfahren nachgewiesen werden.

"Man muss explizit nach dem Gift suchen, weil die Konzentration im Blut ist sehr niedrig."
Marc-Michael Blum, Experte für Chemiewaffen

Ob Nawalny das Gift wirklich mit dem Tee zu sich genommen hat, sei noch unklar, so Marc-Michael Blum. Es handele sich aber um ein Kontaktgift. Es sei deshalb auch möglich, dass Nawalny eine mit dem Gift behandelte Oberfläche angefasst habe und er es über die Haut aufgenommen habe.

"Es ist möglich, dass es ihm im Tee verabreicht wurde, aber es ist genauso gut möglich, dass es als Kontaktgift ausgebracht wurde."
Marc-Michael Blum, Experte für Chemiewaffen

Wie das Gift wirkt

Das Gift wirke zeitverzögert, sagt der Experte. Sobald es anfängt die volle Wirkung zu entfalten, hemme es das Enzym Cholinesterase im Körper. Dadurch könne der Körper nicht mehr selbstständig atmen. Auch die Impulsübertragung von Nerven zu Muskeln funktioniere nicht mehr einwandfrei. Dadurch können Betroffene ihre Gliedmaßen nicht mehr koordiniert benutzen. Außerdem könne es zu Schäden im Gehirn kommen.

"Es ist absolut möglich, dass er wieder vollständig gesund wird."
Marc-Michael Blum, Experte für Chemiewaffen

Bei einer schwerwiegenden Vergiftung wie im Fall Nawalny, versetzen Ärzte Betroffene in ein künstliches Koma. Es gebe verschiedene Therapiemöglichkeiten, um das Enzym zu reaktivieren. Falls diese scheitern, müsse abgewartet werden bis der Körper den Stoff wieder selbst bildet.

Das passiere nach etwa sechs bis acht Wochen, so Marc-Michael Blum. Ob es zu Langzeitschäden bei Nawalny kommen könnte, kann er aus der Ferne nicht abschätzen. Es sei aber "absolut möglich, dass er wieder vollständig gesund wird."

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Shownotes
Der Fall Nawalny
Es war ein militärischer Nervenkampfstoff
vom 02. September 2020
Moderator: 
Thilo Jahn
Gesprächspartner: 
Marc-Michael Blum, Experte für Chemiewaffen