Wir bestellen online, aber der Lieferfahrer sieht von der Kohle nix. Das ist nicht böse gemeint, zeigt aber: Wir brauchen neue Trinkgeld-Routinen.
Wenn der Foodora-Fahrer kommt, ist das Essen längst bezahlt. "Danke, Tschüss" - Und was ist mit dem Trinkgeld? Auch in anderen Situationen zieht die Zahlung online oder per Kreditkarte zwei Dinge auseinander, die wir sonst in einem Zug erledigt haben: Das Essen zu bezahlen und Trinkgeld zu geben. Man könnte sagen, dass macht die kleine Bonuszahlung noch offensichtlicher. Vielleicht macht es uns aber leichter, uns aus dem Service-Bonus rauszumogeln.
Aus den Augen, aus dem Sinn
Georg Halbeisen ist promovierter Sozialpsychologe an der Universität Trier und meint, oft vergessen wir es schlichtweg. Es ist ein (noch) ungewohnter Vorgang, fernab der gelernten Routine. Haben wir das Portemonnaie in der Hand, funktioniert dieses wie der symbolische Erinnerungsknoten: "Ah ich könnte ja Trinkgeld" geben. Bei der reinen Essensübergabe an der Tür fehlt das natürlich. Hier ist mehr Aufmerksamkeit gefragt. Und vielleicht auch die Motivation.
"Das machen Sie nicht aus bösen Absichten, aber in der Situation ist es wahrscheinlich, dass sie es vergessen. Selbst, wenn Sie sich eigentlich als jemanden einschätzen, der gerne Trinkgeld gibt."
Denn auch die Gründe, warum wir Trinkgeld geben sind unterschiedlich. Der häufigste Grund, sagt Georg Halbeisen ist die Vorstellung "Das gehört sich so". Oder wir geben denen Trinkgeld, die wir besonders sympathisch finden oder um einen besonders guten Job zu belohnen. Das ist natürlich schwierig zu beurteilen, wenn wir bereits vorher gezahlt haben.
Dann gibt es aber noch den sogenannten "Wohlfahrtsgedanken", erklärt Georg Halbeisen. Durch unsere Zusatzzahlung wünschen wir dem Dienstleister, dass er es besser haben solle.
"Sie würden jetzt nicht auf die Idee kommen, dem Piloten ihres Urlaubsfliegers Trinkgeld zu geben. Aber vielleicht dem Fahrer des Shuttlebusses zum Flughafen."
Man gebe eben eher Berufsgruppen Trinkgeld, wo das Einkommen nicht so hoch ist, so der Sozialpsychologe. "Die ideale Welt wäre, dass niemand auf Trinkgeld angewiesen ist.", sagt er. Trinkgeld grundsätzlich abschaffen, scheint so im Moment keine Option. Aber noch sind die Möglichkeiten des digitalen Obulus in Deutschland ausbaufähig.
Neue Trinkgeld-Routinen durch neue Funktionen
Während hierzulande noch oft umständlich mit dem EC-Gerät hantiert wird, gibt es in Skandinavien oder den USA eine extra Funktion dazu. Und auch in Deutschland gibt es Vorstöße, etwa in der App eines Paketdienstes ist das Thema Trinkgeld direkt mitberücksichtigt.
Denn ob die Erinnerung ans Trinkgeld eine Taste oder eine Münze ist, ist letztlich vermutlich egal. Aber auch hier sollte es eine unverbindliche Option bleiben. Fühle sich der Kunde unter Druck gesetzt, sei das eher kontraproduktiv, so Sozialpsychologe Georg Halbeisen.