Eine Radikalisierung ist seit einigen Monaten in den sozialen Netzwerken zu spüren, wo Kommentare zunehmend aggressiver werden. Aber auch auf der Straße zeigen sich Menschen gewaltbereiter.
Färben die Ausschreitungen bei Hogesa, Pegida oder Legida-Demos auf die bislang friedlich eingestellte Gesellschaft ab? Werden Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte das neue Ventil bei sozialem Druck? Müssen Journalisten bald Polizeischutz in Anspruch nehmen, wenn sie über Demonstrationen berichten wollen? Ist unsere Gesellschaft zunehmend enthemmter?
Gefühlskontrolle
Auf unsere Fragen versucht die Philosophin Rita Molzberger Antworten zu geben: Zunächst gibt es in uns konträre Triebe wie das Affektive oder das Vernünftige, die wir ständig versuchen in Ausgleich zu bringen. Herrscht das eine gegen das andere vor, endet das in totaler Wildheit oder Gefühllosigkeit. Rita Molzberger bezieht sich auf Friedrich Schiller, der eine Gefühlserziehung gefordert hatte, mithilfe der wir unsere Gefühle kontrollieren und andere nicht verletzten.
Wenn sich Machtlosigkeit entlädt
Der Gefühlsausgleich kann außer Kontrolle geraten, wenn wir uns in einer Gruppe befinden, die ein bestimmtes Handeln legitimiert, so wie die massenhaften sexuellen Übergriffe auf Frauen am Kölner Hauptbahnhof.
"Man kennt diesen Effekt: Dass in Gruppen, gleich welcher Herkunft, eine Art Enthemmung stattfinden kann, weil man sich gerechtfertigt fühlt durch die anderen, die ja auch nicht besser handeln."
Wortlose Enthemmung
Schockierend empfinden wir es, wenn von Personen, von denen wir annehmen, dass sie ihre Gefühle unter Kontrolle haben, gewalttätige Aktionen ausgehen, wie von der Demonstrantin auf der Legida-Demo am 11. Januar 2016, die eine Journalistin ins Gesicht geschlagen hat, als sie ein Foto von Pegida-Anführer Lutz Bachmann machen wollte. Dahinter könnte eine gewisse Machtlosigkeit oder Hilflosigkeit stecken, erklärt Rita Molzberger. Wenn die Person ihre Betroffenheit nicht mehr in Worte fassen kann, könnte es passieren, dass sich angestaute Enttäuschung oder Wut in Gewaltausbrüchen entläden.