Seit einem Jahr geht es ständig um Risiken: Länder werden zu Risikogebieten, Maßnahmen senken das Infektionsrisiko und seit die ersten Impfstoffe zugelassen worden sind, geht es auch um das Risiko von Nebenwirkungen. Wie sollen wir da eine rationale Entscheidung treffen? Keine leichte Aufgabe, weiß der Philosoph Nikil Mukerji. Das Problem sei auch, dass wir nicht in Wahrscheinlichkeiten denken können.
Wenn ihr ins Auto steigt, denkt ihr dann unmittelbar daran, dass ein Risiko besteht, einen Unfall zu bauen? Wohl eher kaum. Unsere Reporterin Ina Plodroch jedenfalls nicht. Ganz anders ist das seit einem Jahr mit diesem bestimmten Risiko: Jedes Treffen birgt ein potenzielle Gefahr, sich und andere mit Covid-19 anzustecken.
"Wen treffe ich, wen treffe ich draußen, wie viel Leute treffe ich draußen? Eine ständige Risikoabwägung, die ich eigentlich vor Corona nicht so hatte in meinem alltäglichen Leben."
Ja, das Risiko einer Ansteckung besteht. In der Pandemie zeigt sich aber auch, wie schlecht wir Risiken einschätzen und abwägen können. Ortwin Renn ist Risikoforscher und Direktor am Potsdamer Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung. Das Risiko, uns bei einem Treffen mit Freunden oder Familie anzustecken, würden wir häufig als nicht so hoch einschätzen. Auch ihm gehe das so, wenn zum Beispiel seine Tochter zu Besuch kommen wolle, gibt er zu.
Der Optimismus-Bias
Bei uns kann das ja nicht passieren, bei anderen schon, denken wir dann gerne. Und wenn wir mal spazieren gehen, nicht ganz in dem Abstand, der empfohlen ist, sagen wir uns: 'Naja, eine kleine Ausnahme ist schon okay'. Sehen wir aber, dass andere das machen, denken wir möglicherweise: 'Nee, das geht gar nicht!' In der Psychologie nennt man das Optimums-Bias, sagt Ortwin Renn. Dabei seien wir optimistisch, was das eigene Umfeld und pessimistisch, was die Nachbarn anbelangt.
"Wir nennen das den Optimismus-Bias. Also man ist sozusagen immer optimistisch, was das eigene Umfeld und immer pessimistisch, was die Nachbarn anbelangt."
Um Risikoabwägung geht es aktuell auch beim Astra-Zeneca-Impfstoff. Auf der einen Seite: Ansteckung und schwerer Verlauf mit Covid-19. Auf der anderen Seite eine Impfung und die statistischen Häufung von Sinusvenenthrombosen im Hirn, die als gut therapierter gilt, wenn sie rechtzeitig erkannt wird.
In Anbetracht der Zwischenfälle, die wir jetzt kennen, sei der "Nutzen des Impfstoffs größer als der Schaden, der statistisch entstehen könne", sagte der SPD-Politiker und Mediziner Karl Lauterbach dem Deutschlandfunk. Klingt eigentlich einfach und eindeutig. Das sehen allerdings nicht alle so. Dass die Bundesregierung anders entschieden hat, könnte auch daran liegen, dass es uns schwerfalle, uns für ein Risiko zu entscheiden, meint Nikil Mukerji, Philosoph und Mitautor des Buchs "Covid 19, was in der Krise zählt."
Die Entscheidung für ein Risiko fällt schwer
Angenommen, wir lassen als Elternteil das eigene Kind gegen Covid-19 impfen: Wir würden uns einen größeren Vorwurf machen, wenn das Kind durch die Impfung geschädigt werde, als wenn das Kind ungeimpft einen Schaden durch die Erkrankung erleide, sagt der Philosoph und beruft sich dabei auf empirische Studien.
"Studien zeigen, dass sie sich einen größeren Vorwurf machen, wenn sie das Kind durch die Impfung schädigen, als wenn sie nicht impfen lassen und das Kind dann einen Schaden erleidet durch die Erkrankung."
Warum das so ist? Wenn wir aktiv einen Schaden herbeiführen, indem wir etwa impfen lassen, dann machen wir uns einen größeren Vorwurf, als wenn es durch unser Unterlassen zu einem potenziell gleichen Schaden komme, sagt Nikil Mukerji. Rational sei das nicht. Rational wäre, einfach nach der Maßgabe des geringeren Risikos abzuwägen und nicht nur nur auf einer Seite das Risiko möglichst vermeiden zu wollen.
Wir können schlecht in Wahrscheinlichkeiten denken
Dahinter steckt aber auch, dass wir alle keine wirkliche Intuition haben, was genaue Zahlen in diesem Zusammenhang angeht. Wir können sehr schlecht statistisch und in Form von Wahrscheinlichkeiten denken, sagt Nikil Mukerji.
Wenn es um Risiken und Wahrscheinlichkeiten gehe, sollten wir nicht unserem Gefühl trauen. Das treibe Menschen häufig zu irrationalen Handlungen. Beispiel Fukushima: In Deutschland ging der Verkauf von Jodtabletten in die Höhe, obwohl das im Prinzip keinen Sinn machte. Die Leute hätten sich hierbei auf Scheinrisiken gestürzt, also Risiken die hypothetisch und nicht wirklich bedrohlich sind, so der Philosoph.
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